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Höhlenhaut

„Ein Apfelbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Burschen. In seinem Schatten begehre ich zu sitzen. Wie süß schmeckt seine Frucht meinem Gaumen!“ – Hohelied Salomons 2.3

Als Kind wollte ich immer in einer Höhle wohnen. Also schon in der 5-Sterne-Variante mit Whirlpool. Mir ging’s da nie um Back to Basic. Die Geborgenheit war’s! Und die Faszination. Es blieb eine immerwährende Kopfnuss, darüber nachzudenken, wie so eine Höhle es schafft, schlicht perfekt zu sein: im Sommer kühl, im Winter warm, immer den aktuellen Bedürfnissen angepasst. Genial, fand ich, und malte mir meine rosige Zukunft als Höhlenmensch aus. Vielleicht noch mit Salzkristallen an den Wänden. Für die Frühstückseier (ich war ein praktisch veranlagtes Kind).

Heute lebe ich in einer Stadtwohnung. Die ist supernett, allerdings bar jeglichen Höhlentalents: Im Winter muss ich sie heizen wie narrisch, und im Sommer zerfließ ich drin. Aber das macht mir nichts aus, denn ich habe meine Höhle in seinen Fingerkuppen gefunden.

Der Mann mit den Vergissmeinnicht-Augen hat Höhlenhaut. Sie ist im Sommer kühl und im Winter warm. Sie ist fest, wenn ich Halt brauche, und weich, wenn ich mich in ihr vergraben will. Wenn ich traurig bin, legt sie sich in Lachfalten. Bin ich fahrig, ist sie Melisse.

Der Mann mit den Vergissmeinnicht-Augen weiß gar nicht um seine Höhlenmagie. Seine Haut ist für ihn einfach nur Haut, seine Fingerkuppen sind einfach nur Fingerkuppen. Er legt sie gedankenverloren auf meinen Rücken, und dann verwendet er sie, um Frühstückseier zu salzen. Ich schau ihn an und denke: Du immerwährende Kopfnuss! Aber ich würd ihn gern behalten. Die Höhlen sind so rar in der Stadt. Und ich bin ein praktisch veranlagtes Kind.

[Herzfrequenz-Kolumne für die WIENERIN 271/ April 2012]

ls Kind wollte ich immer in einer Höhle wohnen. Also
schon in der 5-Sterne-Variante mit Whirlpool. Mir
ging’s da nie um Back to Basic. Die Geborgenheit war’s!
Und die Faszination. Es blieb eine immerwährende
Kopfnuss, darüber nachzudenken, wie so eine Höhle es scha% t,
schlicht perfekt zu sein: im Sommer kühl, im Winter warm, immer
den aktuellen Bedürfnissen angepasst. Genial, fand ich, und
malte mir meine rosige Zukunft als Höhlenmensch aus. Vielleicht
noch mit Salzkristallen an den Wänden. Für die Frühstückseier
(ich war ein praktisch veranlagtes Kind).
Heute lebe ich in einer Stadtwohnung. Die ist supernett, allerdings
bar jeglichen Höhlentalents: Im Winter muss ich sie heizen
wie narrisch, und im Sommer zerfl ieß ich drin. Aber das macht
mir nichts aus, denn ich habe meine Höhle in seinen Fingerkuppen
gefunden. Der Mann mit den Vergissmeinnicht-Augen hat
Höhlenhaut. Sie ist im Sommer kühl und im Winter warm. Sie ist
fest, wenn ich Halt brauche, und weich, wenn ich mich in ihr vergraben
will. Wenn ich traurig bin, legt sie sich in Lachfalten. Bin
ich fahrig, ist sie Melisse. Der Mann mit den Vergissmeinnicht-
Augen weiß gar nicht um seine Höhlenmagie. Seine Haut ist für
ihn einfach nur Haut, seine Fingerkuppen sind einfach nur Fingerkuppen.
Er legt sie gedankenverloren auf meinen Rücken,
und dann verwendet er sie, um Frühstückseier zu salzen. Ich
schau ihn an und denke: Du immerwährende Kopfnuss! Aber ich
würd ihn gern behalten. Die Höhlen sind so rar in der Stadt. Und
ich bin ein praktisch veranlagtes Kind.

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