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Der österreichische Regisseur Stephan Bruckmeier macht Theater dort, wo man es nicht für möglich hält: Mitten in den Slums von Nairobi, rund um die größte Mülldeponie des Landes. Wie das ambitionierte Projekt nicht nur das Leben im Slum, sondern auch sein eigenes nachhaltig verändert, erzählt er im Interview.

Wie bist du überhaupt nach Nairobi gekommen?

Bruckmeier:
Ich habe in Kärntnen im Rahmen des Carinthischen Sommers ein Projekt über bedeutende Kärntner Humanisten gemacht, Menschen, die das Land verlassen haben und im Ausland wirken. Dabei habe ich u.a. den Peter Quendler kennen gelernt, der für die Caritas „Nachbar in Not“ aufgebaut hat, Frauenhäuser in Afghanistan errichtet hat etc. – Kurz: Ein wahnsinnig umtriebiger Mensch. Da entwickelte sich ein Gespräch über das Thema „Wie machen Menschen Kunst in Ländern, wo sie – um es ganz banal zu sagen – nichts zu fressen haben?“ Quendler hat mir von einem Projekt erzählt, dass er unterstützt: Eine 75jährige Ordensschwester, die in Nairobi eine Schule gegründet hat. Es gibt zwei große Slums in Nairobi. Das eine ist Kibera mit ca. einer Million Menschen Einwohnern – das ist im Südwesten der größte zusammenhängende Slum Afrikas. Das andere sind die Nordöstlichen Viertel Korogocho, Kariobangi, Huruma, Madoya und Dandora mit weiteren 500.000 Einwohnern, das Slumgebiet um die große Mülldeponie der Stadt. Diese Ordensschwester hat einen Grund gesucht und am Wasser auf Stelzen eine Schule für 400 Kinder gebaut. Den Grund haben sie ihr billig verkauft, nach dem Motto, dort kann man eh nix hinbauen… Das war das erste Projekt. Mittlerweile wurde bereits die 5. Schule eröffnet – über freie Spenden und über zwei kleine Caritas-Strukturen (Caritas Kärntnen & Südtirol). Sie hat drei Mitarbeiter – zwei für die Buchhaltung und eine Sozialarbeiterin aus Kenia – und zu viert betreuen sie eine Schule mit 100 Lehrern und 1000 Kindern. Diese Kinder könnten sonst in keine Schule gehen. Sie bekommen dort drei Mahlzeiten und versorgen zum Teil auch noch die Familien mit Nahrung. Korogocho hat im Bürgerkrieg traurige Berühmtheit erlangt, weil sie sich dort ungemein niedergemetzelt haben. Aber dieses Projekt hat diesen großen Slum von Grund auf verändert. Das ganze Lebensgefühl ist ein anderes geworden. Es gibt keine bettelnden Kinder mehr, denn die sind alle in den Schulen und haben zu essen. Es entsteht langsam Vertrauen in das Leben.

Aber das erklärt noch nicht, wie es Dich dorthin verschlagen hat…

Ich hab nach dem Gespräch gesagt, gut, ich schau mir das einmal an. Ich bin auf eigene Kosten runtergeflogen und hab mir das angeschaut. Nach einer Woche war mir klar: Entweder ich gehe jetzt und komme nie wieder oder, wenn ich jetzt anfange, etwas zu tun, dann muss das langfristig sein, denn es entsteht sehr schnell ein Vertrauen, das man nicht enttäuschen darf. Ich hab überlegt: Schaffe ich das? Das kostet Zeit, Geld… Aber es ist so, wie wenn man sich fragt: „Will ich ein Kind oder nicht?“ – und dann ist man plötzlich schwanger. Nach zwei Wochen hab ich gewusst: Das ist ab jetzt Teil meines Lebens.
Dann hab ich dort also „Romeo und Julia“ gemacht, in einer sehr adaptierten Version. Ich hab das Stück deshalb genommen, weil das genau die Geschichte des Bürgerkriegs zwischen den ist. Ich wollte aber nicht als Weißer dorthin kommen und jetzt ein Stück über deren Bürgerkrieg machen, denn es ist wahnsinnig wichtig, dass sie selber ihre Geschichte erzählen, dass man da halt hilft und mitarbeitet, ihnen aber nicht die europäische Sichtweise von außen aufoktruiert.

Warum Theater?

Erstens bin ich Theatermacher und das ist einfach mein Metier. Dann arbeite ich seit fast zehn Jahren kontinuierlich mit Jugendlichen. Der Bereich des pädagogischen Theaters ist mir irgendwann sehr wichtig geworden.. Das heißt nicht, dass ich das andere Theater, bei dem es um die subjektive künstlerische Ästhetik und Aussage geht, nicht auch machen will, aber das zusammenarbeiten mit Kindern wird mir immer wichtiger.
Und dann ist es so, dass in Nairobi sehr viele kleine, lokale Initiativen – so wie jetzt auch meine – sehr viel über Theaterformen bewegen: Über Tanz, über Akrobatik, über kleine Szenen, die sie selber schreiben, z.B. über den Kampf gegen Drogen, warum ist es nicht gut Leim zu schnüffeln etc. Theaterarbeit wird also verbunden mit Aufklärung und politischem Diskurs.

Wie alt sind die Darsteller, mit denen du arbeitest?

Zwischen 16 und 23, aber es sind auch Kinder dabei. Bei Romeo & Julia waren 300 Kinder zwischen 6 und 12 Jahren dabei, mit denen ich Chöre einstudiert habe.

Wenn ich in einen Slum fahre und mich dort umsehe, ist nicht das erste, das mir in den Sinn kommt: Was die hier brauchen, ist Theater…

Nein, aber spätestens das dritte. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Weil man ganz schnell merkt, das Schlimmste ist Mitleid. Das braucht dort kein Mensch. Sie wollen Respekt, sie wollen Dialog und sie wollen gerne, dass man eine Banane kauft – nicht, dass man ihnen Geld schenkt. Das heißt, im Grunde man macht das, was man kann – ich eben Theater – damit Menschen das können, was sie wollen: Geld verdienen und damit die Struktur in diesem Slum verändern.
Da ich nun einmal Theatermacher bin und viele dort das sehr gerne machen wollen, ist es für mich naheliegend genau das zu tun. Die Leute verdienen nicht sehr viel Gage, was halt durch Spenden reinkommt, aber durch das Geld kaufen sie sich etwas zu essen und davon lebt wiederum der Greißler oder die Frau, die vom Feld zehn Melonen holt – und dann hat sie vielleicht am nächsten Tag genug Geld, um 15 Melonen zu holen. Es spielt sich wirklich in diesen kleinen Dimensionen ab, aber es funktioniert. Ich habe das bei all diesen Mikro-Initiativen gesehen: Wo es die gibt, verändert sich das Leben. Nachhaltig.

Die Arbeit findet auf Englisch statt?

Ja. Der durchschnittliche Kenianer kann – im Gegensatz zu uns – drei Sprachen: seine Muttersprache, Suaheli und Englisch. Und zwar so, dass sie in diesen Sprachen auch gut Zeitung lesen können. Das ist auch wichtig, denn die Leute wollen ja wissen, was passiert. Es werden viele (hervorragende) Zeitungen im Slum gelesen – das ist sicher nicht Bild, das man in Europa vom Slumleben hat…

Wie ist denn das Slumleben, jenseits der europäischen Vorstellungen?

Slum ist nicht gleich Slum. Da gibt’s die verhungernden Aidskranken und da gibt’s die, die schon einen kleinen Laden und eine Existenz aufgebaut haben. – das ist alles Slum. Es ist sehr arm, aber es ist nicht alles an der Grenze zum Disaster. Nur wenn man nichts tut, weil die Korruption alles ruiniert, sowohl die lokale, als auch die internationale, dann geht dieser Slum unter… d.h. man muss „düngen“. Sie können ja alles selber, wenn man ihnen nicht immer alles kaputt macht. Das ist das grausliche eigentlich.

Inzwischen arbeitet meine Truppe auch weiter, wenn ich nicht da bin, schreiben sich eigene Szenen über politische Themen, die sie interessieren, über den Post Election War. Wenn sie diese Kurz-Stücke dann auf der Straße spielen, fangen die Leute zu diskutieren an. Da kommen wir wieder ganz nah an die Wurzeln des Theaters. Das interessiert mich sehr, denn mir ist der politische Aspekt des Theaters in meiner Arbeit immer wichtig gewesen. Für mich fließen in Nairobi all diese Aspekte zusammen: Ich gehe dort weder als Gutmensch noch als Heiliger hinunter, ich kümmere mich halt darum, dass dort 35 Jugendliche eine Existenz haben, aber ich lerne selber dabei…

Was genau passiert mit den Spendengeldern?

Von dem Geld, das ich an Spenden bekomme gehen 80% ans Hope Theatre und 20% an Hands of Care and Hope, das ist die Infrastruktur, ich verwende ja das Büro von denen, die Arbeitswohnung in Nairobi etc.

Du selber verdienst nichts?

Nö.

Kannst du dir das leisten?

Nö. [lacht]

Wie viel Geld bräuchte es denn, um euer Projekt am Laufen zu halten?

ca. 800 Euro im Monat. 200, um die Struktur zu erhalten. Der Rest wird aufgeteilt in kleine Gehälter für die Darsteller, so im 10 Euro Bereich, das sind aber dort unten 1000 KES (Kenyan Shillings), das ist in Ordnung. Soll ja auch nicht zuviel sein, um das Gleichgewicht nicht durcheinander zu bringen. Ein bisschen Geld wird verwendet, um das Theater aufzubauen, also dass man sich mal Requisiten kaufen kann oder eine neue Trommel… Wichtig ist, dass kontinuierlich gearbeitet wird, nicht einfach ein Projekt zu machen und dann alles wieder fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. Also etwa ein Dauerauftrag über 5 Euro – da geht wirklich etwas weiter. Das ist mir lieber, als einmal ein 100er, denn es ist die Kontinuität der Arbeit, die dadurch gewährleistet wird. Dann hat die Gruppe eine Existenz.

Wie geht’s Dir selber, wenn Du im Slum wohnst?

Ich krieg natürlich Halsschmerzen, denn die Luft ist sehr giftig. Man muss sich vorstellen: Eine Müllhalde einer 4-Millionen-Stadt. So etwas hab ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Die Menschen leben dort vom Müll. Sie machen Recycling und Mülltrennung, das wird dann nach Gewicht bezahlt. Die Ärmsten holen sich dort das Essen, warten bis die LKWs von den Hotels kommen und holen sich dann die Essensreste. Man kennt das aus Südamerika und tw. aus Asien, aber in Afrika ist das eigentlich unüblich…

Und empfindest Du das Theater dort unten auch als Sozialisationsinstanz?

Unbedingt. In so einer Theatergruppe, wie sie sich hier formiert, spielen Nationen miteinander, deren Eltern sich gegenseitig ermordet haben. Und diese Generation macht das gemeinsam zum Thema der Szenen. Die Proben sind offen, immer wieder kommen Leute herein, sehen zu, fangen an, darüber zu reden… wenn das weitergeht, setzt das einen kontinuierlichen Umdenkprozess in Gang. Kurz: Es wird ungemein viel diskutiert und dann auch weitererzählt, das bildet natürlich – neben dem schönen Erlebnis, Theater zu machen. Wir arbeiten mit hoch engagierten Leuten. Und es hat sich auch im Bürgerkrieg gezeigt: In Orten, in denen es viele Initiativen gibt, fangen die Leute an, nachzudenken und zu reden. Da findet ein derart blindes Gemetzel auch nicht statt. Das ist das Wichtigste, das man erreichen kann: Dass die Leute sich ein Bild machen können. Welches Bild sie sich machen, sollen sie selber entscheiden, aber durch Bildung, durch Initiativen erwerben sie die Fähigkeiten, sich eines zu machen…
Damit kein Missverständnis entsteht: Es geht ja gar nicht darum, hier die neuen Stars des Nationaltheaters auszubilden. Ein kleines Mädchen hat mir zum Bespiel gesagt, sie macht deshalb gerne Theater, weil sie da Englisch üben kann. und das braucht sie, wenn sie Richterin werden will…

Was war denn der berührendste Moment, den Du erlebt hast?

Das war als diese Kinder, die eigentlich Hände nur vom Prügeln kennen und davon, sich aus dem Müll das essen zu suchen, da oben auf der Bühne gestanden sind und Applaus bekommen haben. Was in diesen Gesichtern vorgegangen ist, kann man sich überhaupt nicht vorstellen…
8-10jährige Kinder, zum teil Vollwaisen, bei denen die Lehrer darauf achten müssen, dass sie vom älteren Bruder nicht auf den strich geschickt werden… und dann stehen die da oben und kriegen Applaus. Das war ein Wahnsinn. Allein dieser „Lebenswert“, der entsteht: Dass Menschen merken, es gibt andere, die finden toll, was sie machen. Das gibt nicht nur Selbstwertgefühl, das gibt auch „Vision“ – ein Ziel für die Zukunft…
Da entsteht etwas, das sehr mächtig ist: 1000 Kinder, die in diesem Umfeld aufwachsen, 1000 Kinder im Bezirk, die (wahrscheinlich) nicht drogensüchtig und mit 14 tot sind, sondern die sagen „Mein Leben hat eine Zukunft!“ – Das ist eine Energie, die noch viel bewegen wird.

Website: Hope Theatre

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