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Ich-bin-Ich

Countdown-Woche 12: “Wer bin ich eigentlich?”, fragt Nicole. Und geht laufen, um es herauszufinden. [erscheint auch auf typischich.at]

Das kleine Ich bin Ich (c) Jungbrunnen Verlag

Ich weiß nicht, ob Sie’s gehört haben: Hannibal Means gibt ein Konzert in Wien. Sie müssen ihn nicht kennen, aber für mich ist er wichtig. Als er noch regelmäßig aufgetreten ist, hab ich jeden Sonntag Abend im Roten Engel verbracht, um ihn zu hören. Aber das war in einem anderen Leben. In einem Leben, in dem Musik für mich Atemluft war.

Ich hatte eine CD-Sammlung, die jeden Verkäufer bei HMV vor Neid erblassen hätte lassen. “Identität durch Expertise” nennt das die Psychologie. Und recht hat sie.
Wo andere repräsentative Bücherregale haben, um sich und der Welt zu zeigen, wer sie sind, hatte ich Regalmeter voller CDs. Klar, als Tochter eines stadtbekannten Buchhändlers muss man schon was anderes als Bücher finden, um sich seine eigene (soll heißen: eigenständige) Identität zusammen zu puzzeln. Da war halt die Musik.

Und irgendwann war sie nicht mehr da. Ich hab keinen Spotify Account. Ich hab in meinem Leben grad mal drei Songs von iTunes runtergeladen und die Regalmeter CDs sind jetzt in Laden verstaut. Ich seh sie nicht mehr, dafür nimmt’s weniger Platz ein und man muss nicht so viel abstauben. Kurz: Irgendwann hab ich nicht nur aufgehört, Musik zu atmen. Ich hab auch ganz aufgehört, sie zu hören.

Zeitpunkt? Etwa mit der Geburt des ersten Kindes. Ab da gab’s Mozart fürs Baby. Aber nicht mehr Sondheim für Mami.

“Die Entscheidung, ein Kind zu haben ist von großer Tragweite. Denn man beschließt für alle Zeit, dass das Herz außerhalb des Körpers herumläuft.” Der Satz stammt von Elisabeth Stone und wir haben ihn auf die Geburtsanzeige geschrieben. Er berührt mich sehr, immer noch, aber er ist nur die halbe Wahrheit. Die schönere Hälfte.

Die andere Hälfte ist, dass nicht nur das Herz, sondern auch die Identität auswandert. Oder das, was frau lange dafür hielt. “Wer bin ich” tritt zurück und lässt “Für wen bin ich” den Vorrang. Und ehe du dich versiehst, ist es so weit entglitten, dass man’s nur noch schemenhaft wahrnehmen kann. Nö, keine Sentimentalitäten. Ist halt so. Dient der Arterhaltung.

Die Brille, die ich trage, weil ich im Computer-dominierten Alltag nicht mit Kontaktlinsen herum murksen will, hab ich 2001 ausgesucht. Sehr akribisch. Hundert Optiker abgeklappert, um die richtige zu finden, weil Teil meines damaligen Identitätspuzzles.
Und jetzt? Naja, wie erwähnt: Es ist immer noch die, echt nicht mehr aktuelle, von 2001… Für Mich-neu-erfinden (bzw. überhaupt mal finden) hab ich keine Zeit. Punkt.

Oder doch?
Ja, wenn ich laufe.

Laufen ist Massensport, es ist unoriginell wie Wiener Schnitzel – und so schlecht wie ich laufe, kann von “Identität durch Expertise” wahrlich nicht die Rede sein. Trotzdem. Es ist so ungemein identitätsstiftend, dass es manchmal schmerzt. Muss oft weinen beim Laufen, weil ich merk, hoppla, ich spür mich. Ja, mich. Und nicht bloß den Bänderriss…

Kathrine Switzer hat beim Frauenlauf mal gesagt: “It’s about more than running. It’s about more than fitness. It’s about changing women’s lifes.” – Naja. Sind noch viele Kilometer bis dahin… Aber ab und zu fügt sich ein Steinchen ins Nicole-Mosaik. I may not win but I can’t be thrown.

Und deshalb gibt’s hier auch wieder ein bißchen Musik. Vielleicht kommt sie ja zurück.

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