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[Erschienen im WIENER Nr. 344 / April 2010]

Ist ja nicht so, dass Geocaching etwas Neues wäre. Die High-Tech-Schnitzeljagd findet weltweit bereits seit 10 Jahren statt. Damals nämlich, als sich – Clinton sei Dank – die US Regierung entschloss, die „künstliche Verfälschung“ von GPS-Koordinaten abzuschalten. Genaue Ortung von Positionen war bis dato ausschließlich fürs US-Militär reserviert, Navigationsgeräte für Otto Normalverbraucher wurden mittels Störtechnik blind und blöd gehalten. Genau damit machte der allentscheidende Knopfdruck Bill Clintons Schluss, die Präzision der Ortung machte einen Quantensprung – und das für jeden, der sich im glücklichen Besitz eines „Navis“ befand.

Der Homo Ludens jedoch definiert sich über das Spiel. „Wir spielen mit milliardenschwerer Technik des US-Militärs, und was macht ihr so bei euren Hobbies?“, heißt es gerne in Geocache-Kreisen. In der Tat: Am 2. Mai fiel die „selective availability“ – am 3. Mai, erraten, wurde die neugewonnene GPS-Freiheit erstmals zur Schnitzeljagd Deluxe genutzt. Geocaching ward geboren. Aber zum Breiten-Hype ist es erst jetzt herangewachsen. Warum? Wegen der plötzlichen Niederschwelligkeit dank moderner Smartphones; die brechen die Vorherrschaft der Tech-Elite und liefern GPS-Ortung für die Hosentasche. Voilà, ein veritables Schnitzeljagd-Revival!

„Geocaching“ – die Wortschöpfung setzt sich zusammen aus „Geo“ (für Erde) und aus „Cache“ für Lager oder Versteck. Letzteres vielleicht ungewöhnlich, aber bereits bei Karl May gut eingeführt. Um was es dabei geht, hat der deutsche Komiker Bernhard („Genial daneben“) Hoëcker, selbst Schnitzeljäger aus Passion, definiert: „Irgendjemand bewegt sich irgendwohin und versteckt irgendwo irgendwie irgendwas. Er notiert sich das irgendwo in Form von GPS-Koordinaten und setzt diese dann ins Internet.“

Konkreter: Es werden Schätze, sogenannte „Caches“, versteckt und ihre geographischen Daten auf einer Internetplattform veröffentlicht. Somit hat eine weltweite Community die Möglichkeit, sich auf die Suche zu machen: Einer für alle, alle für einen. Im Mittelpunkt steht nicht der Wert des Caches, sondern der Thrill der Jagd, die exklusive Gefinkeltheit des Verstecks. Denn es braucht eine Mischung aus Kombinationsgabe und Adlerblick, um Caches aufzustöbern: Das können fingernagelgroße, magnetische Döschen sein, die auf der Rückseite von Verkehrsschildern angebracht sind. Oder Filmdosen, die derart in Astlöchern stecken, dass nur der Deckel sichtbar ist. Beliebt sind – will man Hoëcker Glauben schenken – auch Stuhlproberöhrchen. Weil sie so schön wasserdicht sind. Das selbe gilt für jede Art von Tupperware, welche wohl die weitverbreitetste Art von Cache konstituiert. Im Prinzip geht alles, solang es wetterfest ist und Platz für ein Logbuch bietet, in das der stolze Finder sich eintragen kann. Der Fantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt: Unterwassercaches für Taucher gibt es ebenso wie solche, für die man eine Kletterausrüstung braucht. Es gibt Caches in der Antarktis und gar einen im 7000 Meter Höhe am Mount Everest.

„Mich fasziniert Geocaching“, sagt High Tech-Pfadfinder G. (42), „Es verbindet neue Medien – sprich die Web 2.0-Möglichkeiten der sozialen Interaktion – mit elektronischen Gadgets, die lustig und interessant sind, weil es auf diesem Gebiet auch ständig Innovationen gibt. Und das ganze in der Natur bzw. in der Stadt.“ G. ist erst seit kurzem dabei. Gemeinsam mit seiner Frau übrigens – denn auch das ist ein Merkmal des Games: Kaum jemand betreibt es alleine. Geocacher sind oft Paare oder Gruppen, viele Familien nutzen es um ihre renitenten Lendensprosse zum Sonntagsausflug zu motivieren…

„Was wirklich verblüfft“, berichtet G., „Ist mit welch anderen Augen man durch die Stadt geht. Plötzlich achtet man auf Details, denn alles könnte ein Hinweis sein, um (d)einen Schatz zu finden.“ Das betrifft vor allem sogenannte „Multicaches“: klassische Schnitzeljagden, bei denen man sich von Station zu Station vorarbeitet, wobei nur die GPS-Daten der ersten Station bekannt sind. Da gilt es Buchstaben in Ornamenten zu erspähen oder die Quersumme aus einer Hausnummer mit Pi multiplizieren, man dechiffriert die Farbcodes von elektrischen Widerständen, zählt Marmorstatuen an Hausfassaden ab und liest sich ein in Binärcodes, Runen und chemische Elemente. Indiana Jones meets DaVinci-Code am Karlsplatz. Nach Schiller ist das Spiel jene menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen. Beweisführung hiermit angetreten.

Unterdessen ist aber auch jenes eherne Gebot zu achten, das schon Harry Potter Kopfzerbrechen bereitete: Nicht von Muggles erwischen lassen! Gerade an sehr öffentlichen Plätzen (Strudelhofstiege, Hochstrahlbrunnen, Johann Strauß Denkmal) will man kein Aufsehen erregen, will die Mission nicht gefährden. Flughafen-Caches sind aus dem selben Grund verboten. Sonst hätte wohl schon manch unschuldige Tupperdose die Anti-Terroreinheit auf den Plan gerufen…

Apropos Schiller. Der war auch davon überzeugt, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt. Also spazieren Sie noch oder geocachen Sie schon?

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