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[unveröffentlicht, geschrieben für die FAZ, Mai 2010 – siehe auch: Vorgeschichte]

Als im September 2009 das Internetmanifest über die deutsche Medienlandschaft kam wie dereinst Niggemeier und Konsorten über die BILD, gab es mächtig Rauschen im papiernen und digitalen Blätterwald.

„Bei uns“, diagnostiziert Gerald Bäck schulterzuckend, „hätte es das nicht gegeben“. Bäck (www.baeck.at) ist Gründer der Agentur Digital Affairs, Experte in Sachen Social-Media-Reichweite und wenn man so will so etwas wie ein österreichischer A-List-Blogger. Wohlgemerkt: Wenn man so will. Soll heißen: Wenn man dieser Art von Alpha-Männchen-Mentalität irgendetwas abgewinnen kann – und das ist in der Alpenblogosphäre eher selten der Fall. Ja, man bloggt, aber man bloggt nicht hierarchisch verbiestert und wer sich selber zu ernst nimmt, wird stantepede der schwersten Strafe teilhaftig, mit der die hiesige Schwarmintelligenz aufwarten kann: Er wird einfach belächelt.

Der Hirsch ist heimisch diesseits der kakanischen Grenze, der digitale Platzhirsch hingegen wird ungern gesehen und mit einer hier nicht minder heimischen g’sundn Skepsis betrachtet.

„Und genau deshalb hat Österreich auch kein Internetmanifest“, befindet Bäck, „Es gibt hier niemand, der sich ernst genug nimmt, um so einen Wurf von selbsternannter Größe und Wichtigkeit in die Welt zu setzen. Und täte es jemand, dann würde das nie in derartiger Breite beachtet oder für voll genommen werden.“

Nicht, dass die Probleme andere wären. Zensursula etwa fand ihr Äquivalent in der steinzeitlichen Sauriergattung „Zensurandion“, welche phonetisch nicht ganz zufällig der österreichischen Justizministerin Bandion-Ortner nachempfunden ist. Verschlafene, nein, himmelschreiend dumme Netzpolitik und Scheinargumente der Schlagstärke „Kinderpornographie“ lassen sich auf beiden Seiten des Palatschinken-Äquators verorten. Ebenso der Konflikt zwischen alten und neuen Medien. Aber statt einem Matthias Döpfner steht den Digerati wohl nur Armin Thurnher gegenüber, Herausgeber der Stadtzeitung FALTER und journalistisches Urgestein. Eine Hamburger Erklärung ist von ihm nicht zu erwarten. Maximal ein Editorial, indem Herr Thurnher die Blogger „Meine lieben Meerschweinchen“ nennt. Dann sind auch alle kurz böse auf ihn. Aber bitte nur kurz.

Ja, der Thurnher, das wiss ma inzwischen, der hat das Internet nicht kapiert. Er beweist das auch immer wieder gerne. Aber der Thurnher ist trotzdem „einer von uns“. Den Thurnher hat man lieb, selbst wenn er grantelt wie ein Ober in einem Wiener Kaffeehaus. Der Thurnher ist links (wie 97% der österreichischen Blogosphäre), er kann schreiben (wie 97% der österreichischen Blogosphäre gerne könnten) und er wird gelesen (wie geschätzte… nun… 3% der österreichischen Blogosphäre). Er taugt nicht so recht zum Feindbild und zum Reibebaum. Die „Sind Blogger Meerschweinchen?“-Debatte mag tatsächlich der massivste Grabenkampf gewesen sein, den die Szene seit dem Launch von WordPress 1.0.1 ausgefochten hat, aber ein Flamewar oder, um mit Sascha Lobo zu sprechen, ein „Shitstorm“ war’s deshalb noch lange nicht. Wir nennen ja auch keinen Sascha Lobo unser eigen. Vielleicht liegt’s daran! Denn ebenso, wie den digitalen Publizisten der Antagonist fehlt, an dem sich gebloggter Furor entzünden könnte, fehlt er auch den Holzmedien. Auf wen soll der Thurnher denn schimpfen? Ist ja keiner da.

Ist Online-Österreich also fad? Nein. Aber es ist klein. Und die Six-Degrees-Of-Seperation sind hierzulande meist nur zwei. Wer flamed, wird dem Ziel seiner Attacke vermutlich am nächsten Tag im Café Prückl begegnen. Man kennt sich. Und da überlegt man sich’s lieber zweimal, ehe man offenen Krieg erklärt. Gültiges Motto wie ehedem: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ Letztlich hat ja auch der Thurnher seine Meerschweinchen geheiratet, indem er ihnen, mitten im Holzmedium FALTER, Platz und Druckerschwärze anbot, um ihre nagetierlichen Gegendarstellungen in seinem Hoheitsgebiet zu veröffentlichen.

Friede, Freude, Eierkuchen mit dem Gegner also. Und untereinander? Geschenkt. Ein Meerschweinchen kratzt dem anderen kein Auge aus.

Wenn doch, dann ist der Internetrat zur Stelle. Denn was den Deutschen ihr Manifest, ist den Österreichern ihr Internetrat: Eine selbstkonstituierte und -ermächtigte Instanz nämlich, zur Wahrung des Guten und Rechten. Wie er entstanden ist, vermag niemand so recht zu sagen. Eines Tages war er einfach da. Es war schlicht der richtige Zeitpunkt, weil was ein ordentlicher Operettenstaat sein will, bedarf auch online ab und an eines Buffo-Chores. Auftritt: Der „Österreichische Internetrat (ÖIR) für Online-Ethik und freiwillige Selbstkontrolle“. Angelegt als Persiflage (er würde dies vehement abstreiten!) auf den zahnlosen österreichischen Medienrat, der – ebenfalls selbsternannt – die Nachfolge des weniger zahnlosen, aber nicht mehr existenten Presserates angetreten ist, zog der ÖIR aus, um in grimmiger Ernsthaftigkeit zu ermahnen und zu erziehen. Eine Institution, amtsschimmeliger als jede Magistratsabteilung, dabei so seriös wie ein Erzherzog beim Tarockieren. Karl Kraus wäre stolz auf seine Erben gewesen.

Und obzwar der kurzfristige Hype um den ÖIR inzwischen ebenso verebbt scheint, wie der sprichwörtliche Sturm im Meerschweinchen-Käfig, so manifestiert sich in beziehungsweise durch ihn dennoch eine grundlegende Regel, die den Ösi-Blogger vom Piefke-Blogger unterscheidet: Wo Sixtus, Don Alphonso & Co. die Lage ihrer Zunft mit dem preußischen Klassiker als „ernst, aber nicht hoffnungslos“ schildern würden, gilt für Gerald Bäck & Landsmänner/frauen immer noch das Watzlawick’sche Gegenwort, demzufolge die Lage zwar hoffnungslos, aber nicht ernst ist. Das ist ja das Schöne an Klischees: Sie stimmen oft.

Hoffnungslos scheint die Lage in der Tat. In der deutschen Medienlandschaft werden Blogger nicht nur deutlich stärker wahrgenommen und selbst von alteingesessenen Traditionsblättern zitiert, sie werden auch oftmals an Bord geholt. Wer etwas auf sich hält, hält sich seinen eigenen Hausblogger. Siehe FAZ. Davon kann man in Österreich nur träumen. Eher noch bloggen Chefredakteure selbst, als einzugestehen, dass es ein anderer auch oder gar besser könnte. Michael Fleischhacker, selbstgerechte Edelfeder der PRESSE ist einer davon.

„Aber was Fleischhacker macht, hat für mich nichts mit Bloggen zu tun“, meint Bäck, „Er verlinkt nie. Er ist selber nicht vernetzt. Es findet keinerlei Interaktion statt – abgesehen davon, dass er manchmal seine Kommentatoren beschimpft. De facto stellt er nur online, was er in Print nicht schreiben mag, oder wofür er keinen Platz mehr in der PRESSE hat. Dass Bloggen etwas mit Community zu tun hat, begreift er, wie auch viele seiner Kollegen, nicht. Die verwenden Blogs als Megaphone und Twitter als Einweg-Kommunikationsplattform.“

Gerade letzteres ist in der österreichischen Szene aber ein absolutes No-Go. Wer nicht zu twittern versteht, kann das mit dem Bloggen genauso gut wieder sein lassen. „Es ist sicher eine Eigenart unserer Szene, dass die Blogosphäre und die Twittersphäre praktisch ident sind“, so Bäck, „Ich kenne zwar Twitterer, die nicht Bloggen, aber ich wüsste keinen ernstzunehmenden Blogger, der nicht twittert.“

Immerhin hat die literarische Kurzform hierzulande eine lange Tradition. Klappt das Schmähführen in 140 Zeichen, rekrutieren sich die Blogleser automatisch. Wenn nicht, dann adieu Blogcharts!

Der Grund liegt auf der Hand: Es sind Blogger, die die Kommunikationskultur der Kaffeehausliteraten und Stammtischpolitiker ins 21. Jahrhundert tragen – und Twitter ist ihr Kaffeehaus 2.0. Nirgendwo macht sich das stärker bemerkbar als in Wien. Hier ist, das wusste schon Friedrich Torberg, Kaffeehaus überall. Es ist „der Katalysator und Brennpunkt des Daseins“. Dazu bedarf es keines physischen Ortes, vielmehr ist es der Geist des Kaffeehauses, der sich tief in die DNA des Wieners eingeschrieben hat. Was das Central, das Herrenhof, das Sacher für Kraus, Polgar und Friedell waren, ist das Café Twitter für die Wiener Blogosphäre.  Es stellt den geistigen Raum, aus dem die Bohéme ihre Lebenssäfte saugt. Und die Bohéme ist längst digital.

Klar, nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Doch die Zweifler mögen sich einfach mal umsehen an jenem virtuellen Kaffeehaustisch, um den sich die (nicht nur) Wiener Blogger versammeln; dort, wo sie – was oft beraunzt wird – „versumpern“ und dem Microbloggen frönen statt der hehren Kunst der Langform. Aber auch das Raunzen darüber hat ja etwas zutiefst kulturell Endogenes. „Zu den beinahe untrüglichen Merkmalen eines Stammgastes“, schreibt Torberg über das Kaffeehaus, „gehörte die Behauptung, keiner zu sein.“

Abseits des Sachertortenklischees ist Kaffeehaus jedoch nicht nur gemütlich. Es ist und war schon immer Ort des politischen Diskurses, Keimzelle für Gegenöffentlichkeiten und Revolutionen. Letztere tragen heute Hashtags. Etwa #unibrennt oder #grueneVW („grüne Vorwahlen“).

Denn so zahnlos wie die Nichtrepräsentanz in österreichischen Holzmedien suggeriert, sind sie nicht, die Blogger und Bloggerinnen des Landes. Der Aufstand gegen ein zutiefst einengendes, „verschultes“ Hochschulsystem wurde ebenso von twitternden Bloggern getragen, wie der Kampf um mehr Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung bei den Wiener Grünen. Oder von bloggenden Twitterern. Wie man’s nimmt.

Aber sie alle nennen es nicht Arbeit. Sie nennen es bloggen. Punkt. Und Bloggen ist mitunter das, was passiert, während du eifrig dabei bist, auf Twitter andere Pläne zu machen. Das mit der Ich-Marke-etablierenden Ernsthaftigkeit kann man derweil entspannt den benachbarten Alpha-Männchen überlassen.

6 Responses to “Sie nennen es nicht Arbeit”

  1. Etwas Neues hamma seitdem bekommen in Ö: die innenpolitische Blogschau auf derstandard.at:

    http://derstandard.at/1292462525652/NEU-Innenpolitische-Blogschau-Nachtgezwitscher-ein-Schoko-Remix-und-geheime-Protokolle

    Andererseits sind die, die die schreiben, ja auch schon wieder welche „von uns“…

  2. http://www.vero-online.info

    Ein anderes Beispiel für ein „Blog“, das kaum Links verwendet und gleichzeitig eine Antithese darstellt zur Aussage „Jeder Blogger twittert“, denn das tut die Betreiberin von http://www.vero-online.info definitiv nicht.

    Kommentare sind auch nicht möglich.

    Das heißt aber nicht, daß das „Blog“ nicht gelesen würde – im Gegenteil: Die Seite ist inhaltlich top und kommt entsprechen an. Freilich gibt’s aber keine öffentlich einsehbaren Statistiken dazu…

  3. Ritchie sagt:

    Absolut grandioser Beitrag!!! Torberg wär stolz auf dich, flowed wie seine Reportagen.

    Zur Schirrmi und seiner Nicht-Reaktion kann ich wirklich nur sagen: SHAME! SHAME! SHAME!

  4. Vergraemer sagt:

    Ich bin ein bisschen begeistert.

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