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The F-Word

Im digitalen Kosmos ist der Trend du Jour oft passé, ehe die Druckerschwärze des WIENERs die Chance hat, zu trocknen. Das schmerzt. Außer der Trend heißt Foursquare. [Erschienen im WIENER, Ausgabe 343 / März 2010]

Foursquare kann man nicht verstehen, wenn man es nicht selber probiert, nein, gelebt hat. Hat man es selber gelebt, kann man es erst recht nicht verstehen. Man kann drauf abstürzen, sicherlich. So wie auf einen Doppler picksüßen Erbeerwein vom Diskonter. Aber verstehen? Niemals.
Es ist der erste Trend, bei dem ich inständig hoffe, dass er Geschichte ist, noch ehe dieses Heft erscheint. Schätze mal, diese Hoffnung ist vergebens, denn laut Gerüchteküche wird dem Erdbeerwein 2010 ein Webbie-Award winken. Na dann, Prost!

Klingen tut’s cool. Eine „geobasierte mobile Applikation“ ist Foursquare. Twitter meets GPS. Stadtführer meets Social Network.
Ich lade mir also die erdbeerig süße kleine App aufs Smartphone und kann meine Stadt besser kennen lernen, kann im Urlaub die heißestes Lokaltipps checken und jederzeit wissen, ob Freunde in der Nähe sind und schnell mit ins Hawelka auf einen Verlängerten gehen wollen. Und dafür, dass ich diese Serviceleistung in Anspruch nehme, muss ich nichts zahlen, sondern werde reich belohnt: Mit Punkten und Medaillen, Ruhm und Ehre. Und mit dem Amt des Bürgermeisters. Honi soit qui mal y pense.

Schöne neue Foursquare-Welt. Ich gehe nicht mehr schnöde zum Kirchenwirt, ich krieg dafür ein veritables Goldsternderl, weil ich so brav war und dem Programm meinen aktuellen Standort gefüttert habe.
Na, wer regrediert da nicht sofort zum Volksschüler und hofft, dass die Frau Lehrerin ihn lieb hat? Wer bekommt da nicht Lust, sich ständig selbst zu verorten und seine Whereabouts auf Google Maps zu markieren?

Bin gerade Ecke Neubaugasse / Mariahilferstraße. Parke jetzt in der Tiefgarage vom Gerngross ein. „Gratuliere!“, sagt Foursquare, „Sie sind der erste Mensch, der in dieser Tiefgarage parkt. Dafür bekommen sie den großen Entdecker-Orden! Wenn Sie hier das nächste Mal parken, werden Sie zum Bürgermeister ernannt!“

Big Brother geht in Frühpension und bucht schon mal ein Ticket nach Florida. Hier wird er nicht mehr gebraucht. Wir erledigen den Job selber, Sternchen sammelnd.
Ehrlich, ich warte auf die ersten Medienberichte von Bankräubern, die zuvor mal rasch in Foursquare eingeben, wo sie das Fluchtauto abgestellt haben. Oder stellen Sie sich mal vor, wie schnell die Saliera wieder aufgetaucht wäre…

Dabei läuft das Spielchen nicht ohne Bugs. Locations können mehrfach ins System eingetragen werden, etwa aufgrund divergierender Schreibweisen. Das sorgt für Verwirrung und Eintracht gleichermaßen, denn nur so ist es möglich, dass J. und ich zeitgleich Bürgermeisterinnen der U-Bahn Station Landstraße sind. Wir regieren in friedlicher Koexistenz, jede in ihrem eigenen (Tippfehler-induziertem) Paralleluniversum.
Mit M. hingehen ist friedliche Koexistenz undenkbar. Das lässt sein Y-Chromosom nicht zu! Wochenlang lieferten wir uns ein erbittertes Gefecht um die Herrengasse, zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit, dem anderen sein Bürgermeisteramt abzuluchsen – durch schieres Hinfahren, Einloggen und Ätsch-Bätsch-Sagen. Zugegeben, die Reibungswärme hatte etwas ungemein Erotisierendes. Aber was ungemein Blödes hatte es auch.

Weltweit spielen derzeit 170.000 Hardcore-Nerds Foursquare. Das klingt wenig, aber wer die Dynamik des Web2.0 kennt, weiß, dass es ausreicht, um zur Pandemie zu werden. Ein paar Psychotricks, eine Prise Gruppendruck und wer will nicht mal ein Early Adopter sein? Trotzdem: Vor Foursquare hab ich keine Angst. Zu läppisch.
Ich habe Angst vor Stasi-VZ (pardon, Studi-VZ) und Facebook. Bei letzterem heißt der Bürgermeister Mark Zuckerberg. Er hat das Zeitalter der Privatsphäre für tot erklärt und bastelt an einer ganz ähnlichen, geobasierten Erweiterung für sein Reich. Ein kleines Geschenk anlässlich George Orwells 60. Todestag…

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