Feed on
Posts
Comments

Web für alle

[Erschienen im WIENER #341]

Accessible Media. Das klingt wie eins dieser ach-so-coolen Buzzwörter, welche die Werbebranche gern im Mund führt. Ist es aber nicht. Vielmehr geht es darum, Grundrechte durchzusetzen: Das Recht auf Information zum Beispiel. Und das Recht auf Chancengleichheit.

„So wichtig es wäre, jede Gehsteigkante abzuschrägen, so wichtig ist es auch, dass Information, unabhängig von den körperlichen oder technischen Gegebenheiten zugänglich ist“ sagt Alexandra Steiner. Als Webdesignerin, die selber im Rollstuhl sitzt, hat sie sich auf Barrierefreiheit im Netz spezialisiert. Wo im Netz Barrieren sind? Für das Auge kaum erkennbar. Für Ausgabegeräte allerdings schon. So verwenden etwa blinde User einen Screenreader, der ihnen Inhalte von Webseiten vorliest. Das Gerät interessiert sich nicht für das schicke Design, sondern ausschließlich für den Quellcode, aus dem eine Seite gestrickt ist. Dafür ist es unumgänglich, dass dieser Quellcode sauber geschrieben wurde. Programmiertechnische Schnitzer und „Grammatikfehler“ in der Hypertext Markup Language wird ein sehender User nie merken. Und jeder, der schon einmal eine Website selbst gepfuscht hat, ist heilfroh, wenn ihm niemand in den zugehörigen Quellcode schaut.

Tja, bad news: Ein Screenreader schaut da sehr wohl. Und leider bringt ihn jede Schlamperei dazu, zu stolpern und unbrauchbare Informationen auszuspucken. Folgerichtig liest das Gerät entweder das wirre Durcheinander des Codes vor – oder im schlimmsten Fall einfach gar nichts, womit im Handumdrehen eine ganze Bevölkerungsgruppe vom Konsum der Website ausgeschlossen ist.

Steiner:

„Das mag noch angehen, wenn es sich um einen privaten Webauftritt handelt. Geschäfte und Dienstleister sollten aber noch einmal drüber nachdenken, ob sie wirklich auf ein ganzes Kundensegment verzichten wollen.“

Zumal – das sei hier nur am Rande erwähnt – auch alte Browser vor Quellcode-Schwampf kapitulieren: Wer mit Internet Explorer 6 unterwegs ist, ist de facto auch ein behinderter User, dem viele Seiten verwehrt bleiben.

Schon Kleinigkeiten könnten die Situation verbessern. Etwa, wenn man jedem Bild eine (nur hinter den Kulissen, im sogenannten Backend sichtbare) Beschreibung beifügt, damit ein Screenreader die Bilder lesen kann. Dabei geht es nicht nur darum, dass auch blinde Menschen das Foto „Urlaub mit Wuffi in Böheimkirchen“ genießen können. Vielmehr sind Bedienungselemente auf Webseiten oft in Bilddateien versteckt. Beispiel gefällig? Hübsch gemalte Pfeile mit Vorwärts/Rückwärts Funktion, die eben nicht Text, sondern graphisches Element sind und die Navigation für Screenreader unmöglich machen. Bilder sind für ihn einfach nicht dechiffrierbar, die Seite in Folge nicht nutzbar für blinde Menschen.

Für Google übrigens auch nicht. „Google ist der bekannteste blinde User“, sagt Markus Ladstätter, IT-Fachmann eines Behindertenberatungszentrums. Suchmaschinen lieben barrierefreie Seiten – alle anderen kapieren sie nämlich nicht gut.
Conclusio: Wer „Suchmaschinenoptimierung“ sagt, sollte auch „Accessibility“ sagen.

Okay, kapiert. Sauber arbeiten. Das kommt ohnehin jedem Nutzer, jeder Suchanfrage zugute. Was aber sollte darüber hinaus bei einer barrierefreien Webseite beachtet werden? Tabellen (in HTML) und wenn möglich auch Flash sind NO-GOs.

Blinde Menschen bewegen sich online ausschließlich mittels Tastatur. No na: Einen Mauszeiger können sie schließlich am Bildschirm nicht lokalisieren.

Tastaturen sind cool. Es gibt sie auch in Brailleschrift (siehe Bild), aber das ist für die meisten gar nicht nötig. Letztlich hat nämlich jede 08/15-Tastatur ein Nubsi unter dem F und dem J (schon mal aufgefallen?). Das erleichtert die Orientierung via Tastsinn ungemein. Navigiert wird mit der Tabulator-Taste, mit der man gänzlich mausfrei, von Link zu Link hüpfen kann.
Blöd wird’s halt, wenn Bedienungselemente partout nur per Maus anzusteuern sind. Wie eben Flash-Animationen, aus denen man ohne Maus einfach nicht mehr raus kommt…

Oder auch Formulare. Erwähnt sei z.B. eine Bank, bei deren Online-Banking der TAN-Code ausschließlich mit der Maus eingegeben werden kann. Fazit: Blinde Nutzer haben nicht einmal Zugriff auf ihr eigenes Konto.

Dabei wäre vieles möglich. Wie so oft geht es nur ums Wollen der Betreiber, nicht um die Hürden technischer Realisierbarkeit. Will man es blinden Menschen vereinfachen, eine Seite zu bedienen, kann man beispielsweise auch „Sprunglinks“ einbauen.

Steiner:

„Sprunglinks werden auf der Seite nicht offen angezeigt, im Quellcode aber schon. Es sind somit Links, die nur für Blinde sichtbar sind.“

Sie dienen dazu, die Navigation zu überspringen und direkt zum Inhalt zu kommen. Ein Vorlesesystem muss dann nicht jedes mal aufs neue den ganze Navigationssermon runterratschen, der User spart Zeit und Nerven.

Und wer denkt beim Webdesignen daran, dass es farbenblinde Menschen gibt? Dass daher rote Schrift auf grünem Grund, abgesehen von potthässlich, auch für viele nicht erkennbar ist? Eben. Kleine Änderung im Style Sheet – große Wirkung!

Grundsätzlich gilt: je übersichtlicher eine Seite gestaltet ist, desto besser.

Ladstätter:

„Das ist von Vorteil für alle, besonders wichtig allerdings für Menschen mit Lernbehinderungen, die vor überfrachteten Seiten einfach kapitulieren müssen.“

Für sie wurde deshalb auch ein Easy Youtube Player entwickelt – mit großen, simplen Bedienungselementen. Kein Gschistigschasti. Nur: ein-aus; laut-leise.
Denn – das muss auch gesagt werden – Youtube ist kein barrierefreies Portal. Auch Amazon ist es nicht. Und Ebay schon gar nicht. Die Großen kümmern sich derzeit leider einen feuchten Kehricht darum. Steiner: „Aber es wird immer besser. Es gibt bereits wesentlich mehr barrierefreie Seiten als man denkt!“

Und es wird auch von technischer Seite her viel getan: Mund-Joysticks für Menschen, die ihre Arme nicht bewegen können. Eye Tracking oder Blinzel-Systeme für noch schwerere Arten der motorischen Einschränkung.

Aber all das funktioniert nur, wenn die Links groß genug sind, um „angeblinzelt“ werden zu können. „More-Tags“ in Blogs, also diese in elender 6-Punkt-Schrift gehaltene Aufforderung zum Weiterlesen, wird hier zur Hürde. Übrigens auch für ältere Menschen, die feinmotorisch nicht mehr so fit sind wie ein 17jähriger Digital Native.

Dabei zeigen Studien, dass gerade behinderte Menschen überdurchschnittlich oft das Web nützen. Nicht nur, weil es viele Amtswege erleichtert.
Man ist auch freier, da bei computervermittelter Interaktion statusbezogene Zeichen (Alter, Geschlecht, körperliche Einschränkungen) nicht mitgeliefert werden. Viele Behinderungen sind keine mehr, sobald man virtuellen Raum betritt.
Web 2.0 bietet darüber hinaus auch eine große Chance, aktiv zu werden: Durch die Vernetzung findet man Gleichgesinnte, Probleme werden sichtbarer und letztlich – davon ist auch Ladstätter überzeugt – finden „mehrere Leute leichter eine Lösung als einer alleine“.

Also alles Eitelwonne in Facebookhausen & Co.? Mitnichten.

Gerade Facebook pfeift auf die Barrierefreiheit. Guter Trick: Das Portal via I-Phone nutzen. Nur dort ist es für Vorlesesoftware zugänglich. Das neue I-Phone 3GS hat nämlich eine Vorlesesoftware in seiner Standardausrüstung integriert. Zwar gab es die bislang auch, aber nur für ca. 300 Euro Aufpreis. Nun ist sie Teil der Erstausstattung und somit gratis, womit auch fast alle Apps für blinde Nutzer verwendbar werden. Klar: Apple legt eben großen Wert auf flächendeckende Ver-I-Phonung der Gesellschaft. Man will keine Zielgruppe aussparen.

Andere sind da nicht so konsumentenorientiert. Gegen den ORF läuft derzeit eine Klage wegen Verstoßes gegen das Behindertengleichstellungsgesetz.
Ein gehörloser Konsument fühlte sich diskriminiert, weil auf der Website des ORF zwar die ZIB 2 on Demand angeboten wird, allerdings nicht untertitelt und daher unbrauchbar für Gehörlose. Es kam – wie in solchen Fällen üblich – zunächst zu einer Schlichtung, bei der beide Seiten ihren Standpunkt darlegten und der ORF sich verpflichtete, die fehlenden Untertitel nachzureichen. Ist ja wirklich easy-peasy. Auf Youtube untertiteln die meisten (hörenden) User ihre Videos selber. Bloß der ORF bringt es offenbar nicht zusammen. Entweder das oder es ist ihm schlicht wurscht. Trotz Zusage wurde nämlich noch gar nichts in der Sache unternommen. Daher auch die Klage…

„Ach, der ORF“, sagt Alexandra Steiner, „Der hat überhaupt einen grauenvollen Webauftritt. Ich verwende diese Seite immer als negatives Beispiel für meine Schüler. Unübersichtlich – und natürlich in keiner Weise barrierefrei.“
Und das ist, sagen wir es unumwunden, einfach nur dumm. Auch wirtschaftlich.
Barrierefreie Seiten sind auf Netbooks und Smart Phones besser darstellbar, sie funktionieren mit jedem Browser, sie bieten optimale Nutzerführung für behinderte und nichtbehinderte Menschen – kurz: Man erreicht mehr Publikum an den unterschiedlichsten Endgeräten. Steiner:

„Barrierefrei bedeutet: Ich mache mein Geschäft ohne Stufen, weil ich will, dass ALLE zu mir kommen.“

Dort, wo tatsächlich alle betroffen sind, auf den öffentlichen Seiten der Bundesländer und Gemeinden, spricht auch das Gesetz Klartext: Diskriminierung von Behinderten darf es im Netz nicht geben. Wie die Vorgabe in der Praxis exekutiert wird, steht auf einem anderen Blatt.

„Die Republik bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“ (BV-G, Art. 7)

Weiterführende Links:

Leave a Reply

Transparenzgesetz.at Info-Logo