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Nachtkritik

<SPOILER Alert>
naja, wie man’s nimmt… weiß eh jede/r, worum es geht.

Komme gerade von der Les Miz Premiere im Artis Kino. Es ist zu spät für wohl strukturierte Absätze. Aber bullet points gehen immer:

  • Hugh Jackman ist ein großartiger Valjean. Berührend und authentisch in jeder Sekunde. Singen kann er auch. Bloß nicht Falsett. „Bring Him Home“ geht deshalb daneben, aber seine Soliloquy ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ganz großes Kino.  Warum reisst er sich nicht das Hemd auf, um seine Sträflingsnummer dem Richter zu präsentieren? Soviel Fanservice für das weibliche Publikum hätte schon sein dürfen ;)
  • Russel Crowe: Wozu? Warum? Der kann das nicht. Keine Austrahlung. Keine Stimme. Keine personifizierte Halsstarrigkeit. Die Figur wird überhaupt nicht klar. Ist ja die geilere Rolle, aber garantiert nicht in dieser Verfilmung. Zwei Momente gibt’s, die ahnen lassen, was möglich wäre: 1. Es macht im ersten Teil des Films den Eindruck, als wäre Javert wasserscheu. Wenn das von der Regie tatsächlich so gemeint ist, find ich’s großartig. 2. Er steckt dem toten Gavroche einen Orden an. Oh, was hätte das für ein Wendepunkt für die Figur sein können! (War sicher auch so gemeint – aber Crowe hat’s nicht durchgezogen, der Loser!)
  • Anne Hathaway: Tolle Fantine.
  • Samantha Barks: Die Entdeckung des Abends. Widersteht der Versuchung, eine herzige Kleinmädchen-Eponine zu sein und schenkt uns ein g’standenes Weibsbild. Das Drehbuch kürzt die Figur allerdings auf ein trauriges Minimum. Jederfraus Lieblingscharakter wird somit fast ein Cameo. (Frage an die Maskenbildnerin: Warum hat ein Mädl aus der Pariser Gosse so saubere Zähne und perfekt faconierte Augenbrauen?)
  • Daniel Huttlestone -> a new benchmark for Gavroches everywhere
  • Sacha Baron Cohen & Helena Bonham Carter: Das passt perfekt. Ich mag ihn sonst nicht. Aber als Thenardiér ganz wunderbar. Sie kann die Mrs Lovett nicht ganz ablegen (ich sage nur: Fleischwolf!), aber sie hat mir im französischen 19. Jahrhundert deutlich besser gefallen als im englischen ;)
  • Die Studis: Enjolras, Marius… da bin ich zu faul zum Darsteller-Googlen. Beide eher blass und schwach. Um ersteren ist’s schade, zweiterer… naja… die Figur ist halt undankbar & nervig, aber es würde schon helfen, beim Singen den Mund aufzumachen und nicht durch die Zähne zu nuscheln. Dafür: Grantaire war nüchterner (= im Sinne von „nicht alkoholisiert“) und braver als er sein müßte, aber rührend warmherzig (außerdem: Eye Candy Alert!). Die unausgesprochene Liebesbeziehung zwischen Enjolras und Grantaire wurde völlig ignoriert, jedoch zumindest ihren letzten Moment durften sie miteinander teilen.
  • Synchro-Fail: Einzelne gesprochene Sätze mitten in sonst gesungenen Passagen synchronisieren? Das muss echt nicht sein. Warum der Film überhaupt synchronisiert wurde, ist mir ein Rätsel. Wegen der  7 Sprechsätze in 158 Minuten?
  • Kulissen-Fail: Der Film war sicher nicht billig. Die Clips von den Dreharbeiten zeigen aufwändige Straßenszenen in London etc. Warum wirken die Sets dann alle wie frisch vom Kulissenmaler? Schaut alles nach Studio oder Computer aus (besonders schlimm: Die Sträflings-Galeere zu Beginn). Um ein anderes Boublil/Schönberg-Werk zu zitieren: „Why God why?
  • Das neue Lied. Richtig gelesen. Es gibt eine zusätzliche Nummer. Muss daran liegen, dass Les Miz so kurz ist und nur so wenige Lieder hat, da braucht man dringend eins mehr ;) Seriously, es klingt als hätte einer „Martin Guerre“ durchforstet und gedacht: „An den Schas kann sich eh keiner mehr erinnern, wir nehmen irgendwas Gefälliges von dort, damit der Valjean noch bissl was zu singen kriegt!“ Na gut, es ist eh hübsch. Und weil von Hugh Jackman intoniert, ist das eine feine Szene. Brauchen tut man’s nicht. (Irgendwie eine Unart, dass bei Musical-Verfilmungen neuerdings immer wo ein neues Lied rein muss. Wo steht denn das geschrieben?)
  • Kürzungen: Ja, ok musste halt sein. Umstellungen: Oft gar nicht gut. Löbliche Ausnahme, weil von bezwingender dramaturgischer Logik: „Do you hear the people sing?“ in die Begräbnis-Szene von General Lamarque geschoben.
  • Anleihen an den Roman: Marius‘ Großvater, Gavroches Elefant, Fauchelevent als Gärtner im Nonnenkloster… Fein! Tom Hooper hat das Buch gelesen ;)
  • Todsünde: Sie haben Herrn Enjolras seinen „Lamarque is dead“-Moment gestrichen.
  • Ach ja – und im Theater konnte man nach „One Day More“ aufs Klo gehen.
  • Am meisten geweint hab ich gleich am Anfang. Vor Rührung. Weil Colm Wilkinson, der Original Jean Valjean, den Bischof von Digne spielen darf. Mit soviel Wärme und einer Weisheit, die man wohl nur haben kann, wenn man dieses Stück viele Jahre lang auf seinen Schultern getragen hat…

In diesem Sinne: „Let others rise to take our place until the earth is free!“ (bzw. wie die über weite Strecken sehr brav an der Kunze-Übersetzung orientierten Untertitel meldeten: „Lasst andre unsre Erben sein, die Erde zu befrei’n!“)
Gute Nacht.

One Response to “Nachtkritik”

  1. Harald Havas sagt:

    „Es gibt eine zusätzliche Nummer. Muss daran liegen, dass Les Miz so kurz ist und nur so wenige Lieder hat, da braucht man dringend eins mehr“
    lol! ; )

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