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Facebook, Twitter, Xing & LinkedIn: Die Dezentralisierung von Kommunikationsstrukturen bietet Chance und Risiko gleichermaßen. Immer mehr heimische Unternehmen wagen sich in die Untiefen des Social Web. (erschienen im Wirtschaftsblatt, Februar 2011)

Das österreichische Jet-Unternehmen GlobeAir hat 456 Fans auf Facebook und liefert seinen Freunden dort beinahe wöchentlich neue Beiträge, darunter eine Karte mit den aktuellen Flugrouten, Jobinserate und Fotos aus dem Inneren eines der sieben Cessna Citation Mustang-Jets. Zehn GlobeAir-Fans drücken beim Anblick des Sektfrühstücks den „Gefällt Mir“-Button. Pro Flug genießen vier Reisende das üppige Mahl und zahlen für den Flug bei Last Minute-Buchung 800 €. Zwar findet man Manager und VIPs, die Jets buchen, nur selten persönlich auf Facebook, ihre jeweiligen Assistenten, die am Ende die Buchungen vornehmen, aber schon. Dieser Zielgruppe liefert GlobeAir über Facebook und Twitter die notwendigen Informationen und Interaktionsmöglichkeiten. Bernhard Fragner, Gründer und Geschäftsführer des Flugtaxi-Unternehmens, erklärt: „Wenn dann im Unternehmen ein Jet benötigt wird, fällt einem immer zunächst der Anbieter ein, mit dem man den meisten Kontakt, die meisten Interaktionen hatte.“

Für Firmen bedeutet der Schritt ins Social Web zunächst eine Entlastung des Marketing Budgets. Markenpräsenz gibt es – zumindest scheint das auf den ersten Blick so – geschenkt: Sowohl die teuren Druckkosten als auch die Gebühren für Werbeminuten zur besten Sendezeit entfallen. Kosten zur Errichtung einer Facebook Fanpage und eines Twitter Accounts gibt es nicht. Die Reichweite der neuen Online-Plattformen ist gigantisch, wenn sie richtig gehandhabt werden. Genau hier offenbaren sich Fuß angeln, denn die Handhabung will erlernt und auch bezahlt werden. Ausgerutscht sind auf dem glitschig-viralen Parkett schon einige. Firmen wie Jako oder Jack Wolfskin, die alte Spielregeln im neuen Ökosystem durchzusetzen wollten, waren Monate mit Schadensbegrenzung beschäftigt.

Das Schlagwort vom Internet als „gesetzfreier Raum“ ist also denkbar irreführend. Gerade für Firmenauftritte gibt es im Netz eherne Gesetze. Sie lauten: Transparenz, schnelle Reaktion und Dialog auf Augenhöhe. Das kostet Zeit und Manpower, aber wer sie befolgt, hat gute Chancen, neue Zielgruppen zu erschließen und sich als vertrauenswürdiger Ansprechpartner zu positionieren.

„Man darf den Aufwand nicht unterschätzen“, gibt auch GlobeAir-Gründer Fragner zu bedenken: „Social Media ist Reallokation von Marketing in Richtung Human Ressources. Anders gesagt: Die Kosten für Social Media-Personal fallen in unserer Finanzplanung eindeutig ins Marketing-Budget.“

Für die Social Media-Betreuer selbst verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben meist. Um den Anschluss nicht zu verlieren, müsse man sich ohnedies 24/7 mit neuen Medien beschäftigen, lautet das Credo. „Ich lese täglich meinen RSS Reader“, berichtet Josef Schrefel, der bei Bene das Online-Marketing leitet, „Kommt mir da am Wochenende ein Artikel unter, der für Bene interessant ist, dann verwende ich ihn gleich – das rechne ich nicht als Arbeitszeit.“ Und Daniela Kubak, Online-Marketing-Leiterin von Schrack, berichtet: „Man lebt das 24 Stunden am Tag. Mir kommen auch im Bett Ideen für Schrack. Und wenn ich um halb zwölf Uhr nachts über ein passendes YouTube-Video stolpere, dann stell ich es auf unsere Facebook-Seite.“

Klassische Arbeitszeitmodelle sind für alle, die für den Markenauftritt bei Online-Medien professionell zuständig sind, ungeeignet, denn sie müssen „always on“ und tief in der Community verwurzelt sein.

Belohnt wird dieser Einsatz allerdings durch direktes Feedback und durch die Chance, mit neuen Tools kreative Lösungen zu ersinnen. Es geht beim Thema Social Web um Brand Awareness, stärkere Kundenbindung, besseren Kundendialog. Und wie einige Beispiele zeigen auch tatsächlich um die Akquisition von Neukunden. Wir präsentieren Ihnen hier einige unterschiedliche Wege, wie Firmen das Social Web als Kommunikationskanal erfolgreich nützen können. Klicken Sie sich durch.

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Soundbite Culture

Während Philologen sich um die Zukunft des Buches sorgen, hat der Wandel vom Leser zum Hörer längst eingesetzt. Wir wollen Bücher. Aber wir wollen sie „on the go“ [Erschienen im Techno-Wiener, Jänner 2011]

Kennen Sie Don Quixote? Sicher. Aber haben Sie ihn gelesen? Vermutlich nicht. Geschrieben 1605, umfasst die Schwarte nicht weniger als 126 Kapitel. Nicht einmal die Spanier beißen sich da durch, dabei gilt ihnen der Roman als Nationalheiligtum. Weil aber Bildungslücken da sind, um geschlossen zu werden, hat die Königliche spanische Akademie für Sprache ein ehrgeiziges Projekt ins Leben gerufen: Der Cervantes-Klassiker wurde in 2000 handliche Häppchen zerlegt und soll nun von Freiwilligen aus aller Welt auf YouTube rezitiert werden: Wer Lesen als Kampf gegen Windmühlen empfindet, kann stattdessen zuhören. Und bevor hier jetzt eine kulturpessimistische Debatte zum Thema Illiteralität entbrennt: Es ist oft auch eine Zeitfrage. Natürlich können und sollen, nein, wollen Menschen lesen, aber wer hat schon die Möglichkeit, sich in einer zunehmend schneller drehenden Welt mit einem guten Cognac und einem Schmöker in Opas Lehnstuhl zu setzen? Literaturgenuss, das muss „on the go“ funktionieren: Beim Autofahren, beim Workout, in der Supermarktschlange.

Menschen brauchen Geschichten, um die Welt zu verstehen und mit Sinn zu füllen. Menschen lieben Geschichten, weil sie sich selbst in ihnen spiegeln. Menschen finden zueinander in Geschichten, weil Geschichten Gemeinsamkeiten schaffen und Raum für Anschlusskommunikation. Weil wir uns und den anderen erst fassen können durch Geschichten.

Dass diese Geschichten jedoch in Bücher gedruckt werden, ist eine relativ neue Entwicklung. Zumindest, wenn man die Menschheitsgeschichte als Maßstab hernimmt. Mehr noch: Es ist eine vorübergehende Entwicklung. Die Wissenschaft spricht von der „Gutenberg-Klammer“ und meint damit ein Zeitalter des Lesens, das wir gerade dabei sind, kopfüber zu verlassen – zurück zu den Wurzeln, zu einer langen Tradition der mündlichen Überlieferung. Zugegeben, philosophische Extrempositionen können nur selten der Wirklichkeit des Menschen gerecht werden und da der Alltag nicht der Theorie folgt, wird’s wohl noch ein Zeiterl dauern, bis wir die Gutenberg-Klammer schließen: Jede Postwurfsendung ein Gegenbeweis.

Aber es stimmt schon: Nach 500 Jahren Vorherrschaft des geschriebenen Wortes, findet das gesprochene wieder mehr Platz in unserem Leben. Auferstanden durch den Siegeszug der Podcasts, unterstützt durch die Vorteile der Digitalisierung und neuer Technologien. „Podcasting ist die orale Tradition des digitalen Zeitalters“, schreibt IT-Forscher Michael Dizon, „Aber gedopt mit Steroiden!“

Das Wort „Podcast“ verdanken wir Apple, denn es setzt sich zusammen aus „iPod“ und „Broadcast“. Also Radio für den Zwerg in der Hosentasche. 2005 wurde es vom Oxford Dictionary zum „Wort des Jahres“ gekürt. Für den Alltagsgebrauch bedeuten Podcasts in erster Linie eines: Zeit-, Ort- und Empfangs-ungebundener Radiokonsum, „on demand“ im besten Sinn.

Die Angebote sind vielseitig und längst nicht mehr auf das Duo iPod/iTunes beschränkt. Dank des österreichischen Start-Ups Yasssu (www.yasssu.com) braucht es auch kein ultra-modernes Smartphone, denn die Plattform bietet seit 2007 die Möglichkeit, Podcasts aus über 5000 Quellen (1,3 Millionen Folgen) in einem Online-Verzeichnis zusammen zustellen und unterwegs auf jedem Mobiltelefon abzuhören. Abonnierte Sendungen werden automatisch aktualisiert, sobald eine neue Epidsode erscheint und können via einfachem Anruf empfangen werden. Neu im Yasssu-Angebot: Der Audio-Guide des Naturhistorischen-Museums. So erspart man sich teure Leihgeräte und bekommt die Exponate per Handy erklärt.

Podcasts zu verschiedenen Themenbereichen bieten mittlerweile fast alle gängigen Radio- und viele Fernsehsender an: Nachrichten, Comedy, Sendemitschnitte, Service-Themen, Sprachunterricht. Ein Besuch der BBC-Website führt bei Soundfile-Afficionados regelmäßig zu feuchten Händen und erhöhtem Pulsschlag, denn hier gibt es alles. Und alles gratis; alles abonnierbar.

Aber auch Printmedien ziehen nach: FAZ, Zeit und Süddeutsche Zeitung sind total fehldimensioniert, will man sie in der U-Bahn lesen. Ihre Podcasts eignen sich aber wunderbar. „Bildung to go“ findet sich in den Podcasts von Universitäten und Fortbildungsinstituten, und auch Barack Obama und Angela Merkel wenden sich regelmäßig per Regierungspodcast an die Nation.

Fans bestimmter Marken bietet sich ein wachsendes Angebot an Corporate Podcasts, denn nach anfänglichem Zögern auf Unternehmerseite hat der Run auf die Pole Position unter den Audio- und/oder Video-Providern inzwischen richtig eingesetzt: BMW, Starbucks, Coca Cola, Axe, Mercedes Benz, Gillette, IBM – um nur einige wenige zu nennen, casten was das Zeug hält. Nicht bloß extern (sprich zu Werbe- und PR-Zwecken), sondern auch für die interne Kommunikation mit Mitarbeitern.

Und natürlich gibt es in der freien Bloggerszene das nicht-kommerzielle Äquivalent: Blogger und Blogetten, die ihr Kommunikationsbedürfnis eben jener oralen Tradition schulden und lieber über audiovisuelle Kanäle ausleben als per Tastatur. Denn Podcasting, das ist Geschichten erzählen, Geschichten weitergeben und Geschichten hören in reinster Form. Es ist das Teilen von Kultur durch Sprache. Es verleiht dem Leben eine Stimme.

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…und das neue Jahr nicht mit Schulden beginnen. Passt: Wäsche hatte ich heuer wirklich mal abgehängt. Und ein paar Schulden zahl ich jetzt und hier am Blog zurück.

Die Vorgeschichte: Letztes Jahr im April hab ich Schirrmi getroffen. Mehr oder weniger zufällig. Na okay, nicht ganz zufällig, sondern im Rahmen einer von ihm bestrittenen Podiumsdiskussion. Seine Sekretärin hatte zuvor meine Interviewanfrage mehrmals abgewimmelt, da bin ich eben zur Veranstaltung gestapft, weil man weiß ja nie, ob nicht doch, man will ja nicht ganz aufgeben, ehschowissen.

Aber in vorauseilender Resignation hatte ich nicht einmal ein Diktiergerät dabei. War ein Fehler, denn das Objekt der Interviewbegierde stand an jenem lauen Abend einfach in der Sonnenfelsgasse rum, schnupperte ein bißchen Frischluft und hat mit mir über Donald Duck, Twitter und die österreichische Medienlandschaft geplauscht. Very charming. In den Arsch hätt ich mich beißen können, ob des nicht vorhandenen Equipments. Aber ich hab’s dann unter Kismet abgetan. Man muss ja nicht immer.

Das war also mein „Brush with Greatness“. Und Schluß. Oder doch nicht ganz? Denn wenige Tage später fand sich eine Ein-Satz-Meldung in meiner Mailbox: Ein gemeinsamer Bekannter, schrieb Schirrmi, ließe mich grüßen.  Ganz sicher bin ich mir, dass ich ihm meine Email-Adresse nicht gegeben hatte. Aber ich bin ja nicht schwer zu googlen und nachdem meine Vorliebe für ältere Semester ohnedies aktenkunding ist, war ich quite intrigued.

Langer Rede kurzer Sinn: Entsponnen hat sich ein minimalistisches Email-Ping-Pong zu interessanten Uhrzeiten; er immer vom iPad aus – ich immer sehr neidig darob, weil damals noch nicht bei uns erhältlich.

Und im Endeffekt sein Vorschlag, ich möge doch mal was über die Wiener Bloggerszene für das FAZ Feuilleton zu Papier bringen. Weil Wien – das ist so Kaffeehaus. So Sachertorte mit Schlag. So Tante Jolesch und Karl Kraus. Da sitzen die Blogger im „Bräunerhof“ wie dereinst Thomas Bernhard.

„Das darf nicht so ernst sein, wie wir Deutschen das machen würden. Ich will Torberg. Können Sie das?“

Ja, keine Ahnung, ob ich sowas kann. Schon gar nicht, wenn ich vor lauter Ehrfurcht (He, es ist das FAZ Feuilleton! I am not worthy!) mein bestes Kanninchen-vor-Schlange-Verhalten an den Tag lege. Und zumal sich mir als Wienerin meine Heimatstadt wohl nicht so sacherttortig-mit-Schlag präsentiert, wie sie es den geneigten Touristen gegenüber tut…

Hab’s dann geschrieben. Hab’s ihm geschickt. Hab (die LeserInnen ahnen das bereits) nie wieder was von ihm gehört. Noch eins für die Kismet-Schublade.

Allerdings: Ich hab damals mein halbertes Umfeld sekkiert auf meinem Kanninchen-vor-Schlange-Trip. Allen voran, die geduldigen Gesprächspartner: Jana Herwig, Gerald Bäck und Christoph Prückner (plus Helfried Bauer, der gemeint hat, ich soll mich nicht anscheissen). Denen bin ich jetzt seit einem Dreiviertel Jahr das Ende der Story schuldig. Und letztlich auch die Story selbst ;)

Hiermit also – wenn auch nimma gar so aktuell – blogmäßig nachgeliefert. Mit meinem nochmaligen Dank und meiner Entschuldigung.

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[unveröffentlicht, geschrieben für die FAZ, Mai 2010 – siehe auch: Vorgeschichte]

Als im September 2009 das Internetmanifest über die deutsche Medienlandschaft kam wie dereinst Niggemeier und Konsorten über die BILD, gab es mächtig Rauschen im papiernen und digitalen Blätterwald.

„Bei uns“, diagnostiziert Gerald Bäck schulterzuckend, „hätte es das nicht gegeben“. Bäck (www.baeck.at) ist Gründer der Agentur Digital Affairs, Experte in Sachen Social-Media-Reichweite und wenn man so will so etwas wie ein österreichischer A-List-Blogger. Wohlgemerkt: Wenn man so will. Soll heißen: Wenn man dieser Art von Alpha-Männchen-Mentalität irgendetwas abgewinnen kann – und das ist in der Alpenblogosphäre eher selten der Fall. Ja, man bloggt, aber man bloggt nicht hierarchisch verbiestert und wer sich selber zu ernst nimmt, wird stantepede der schwersten Strafe teilhaftig, mit der die hiesige Schwarmintelligenz aufwarten kann: Er wird einfach belächelt.

Der Hirsch ist heimisch diesseits der kakanischen Grenze, der digitale Platzhirsch hingegen wird ungern gesehen und mit einer hier nicht minder heimischen g’sundn Skepsis betrachtet.

„Und genau deshalb hat Österreich auch kein Internetmanifest“, befindet Bäck, „Es gibt hier niemand, der sich ernst genug nimmt, um so einen Wurf von selbsternannter Größe und Wichtigkeit in die Welt zu setzen. Und täte es jemand, dann würde das nie in derartiger Breite beachtet oder für voll genommen werden.“

Nicht, dass die Probleme andere wären. Zensursula etwa fand ihr Äquivalent in der steinzeitlichen Sauriergattung „Zensurandion“, welche phonetisch nicht ganz zufällig der österreichischen Justizministerin Bandion-Ortner nachempfunden ist. Verschlafene, nein, himmelschreiend dumme Netzpolitik und Scheinargumente der Schlagstärke „Kinderpornographie“ lassen sich auf beiden Seiten des Palatschinken-Äquators verorten. Ebenso der Konflikt zwischen alten und neuen Medien. Aber statt einem Matthias Döpfner steht den Digerati wohl nur Armin Thurnher gegenüber, Herausgeber der Stadtzeitung FALTER und journalistisches Urgestein. Eine Hamburger Erklärung ist von ihm nicht zu erwarten. Maximal ein Editorial, indem Herr Thurnher die Blogger „Meine lieben Meerschweinchen“ nennt. Dann sind auch alle kurz böse auf ihn. Aber bitte nur kurz.

Ja, der Thurnher, das wiss ma inzwischen, der hat das Internet nicht kapiert. Er beweist das auch immer wieder gerne. Aber der Thurnher ist trotzdem „einer von uns“. Den Thurnher hat man lieb, selbst wenn er grantelt wie ein Ober in einem Wiener Kaffeehaus. Der Thurnher ist links (wie 97% der österreichischen Blogosphäre), er kann schreiben (wie 97% der österreichischen Blogosphäre gerne könnten) und er wird gelesen (wie geschätzte… nun… 3% der österreichischen Blogosphäre). Er taugt nicht so recht zum Feindbild und zum Reibebaum. Die „Sind Blogger Meerschweinchen?“-Debatte mag tatsächlich der massivste Grabenkampf gewesen sein, den die Szene seit dem Launch von WordPress 1.0.1 ausgefochten hat, aber ein Flamewar oder, um mit Sascha Lobo zu sprechen, ein „Shitstorm“ war’s deshalb noch lange nicht. Wir nennen ja auch keinen Sascha Lobo unser eigen. Vielleicht liegt’s daran! Denn ebenso, wie den digitalen Publizisten der Antagonist fehlt, an dem sich gebloggter Furor entzünden könnte, fehlt er auch den Holzmedien. Auf wen soll der Thurnher denn schimpfen? Ist ja keiner da.

Ist Online-Österreich also fad? Nein. Aber es ist klein. Und die Six-Degrees-Of-Seperation sind hierzulande meist nur zwei. Wer flamed, wird dem Ziel seiner Attacke vermutlich am nächsten Tag im Café Prückl begegnen. Man kennt sich. Und da überlegt man sich’s lieber zweimal, ehe man offenen Krieg erklärt. Gültiges Motto wie ehedem: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ Letztlich hat ja auch der Thurnher seine Meerschweinchen geheiratet, indem er ihnen, mitten im Holzmedium FALTER, Platz und Druckerschwärze anbot, um ihre nagetierlichen Gegendarstellungen in seinem Hoheitsgebiet zu veröffentlichen.

Friede, Freude, Eierkuchen mit dem Gegner also. Und untereinander? Geschenkt. Ein Meerschweinchen kratzt dem anderen kein Auge aus.

Wenn doch, dann ist der Internetrat zur Stelle. Denn was den Deutschen ihr Manifest, ist den Österreichern ihr Internetrat: Eine selbstkonstituierte und -ermächtigte Instanz nämlich, zur Wahrung des Guten und Rechten. Wie er entstanden ist, vermag niemand so recht zu sagen. Eines Tages war er einfach da. Es war schlicht der richtige Zeitpunkt, weil was ein ordentlicher Operettenstaat sein will, bedarf auch online ab und an eines Buffo-Chores. Auftritt: Der „Österreichische Internetrat (ÖIR) für Online-Ethik und freiwillige Selbstkontrolle“. Angelegt als Persiflage (er würde dies vehement abstreiten!) auf den zahnlosen österreichischen Medienrat, der – ebenfalls selbsternannt – die Nachfolge des weniger zahnlosen, aber nicht mehr existenten Presserates angetreten ist, zog der ÖIR aus, um in grimmiger Ernsthaftigkeit zu ermahnen und zu erziehen. Eine Institution, amtsschimmeliger als jede Magistratsabteilung, dabei so seriös wie ein Erzherzog beim Tarockieren. Karl Kraus wäre stolz auf seine Erben gewesen.

Und obzwar der kurzfristige Hype um den ÖIR inzwischen ebenso verebbt scheint, wie der sprichwörtliche Sturm im Meerschweinchen-Käfig, so manifestiert sich in beziehungsweise durch ihn dennoch eine grundlegende Regel, die den Ösi-Blogger vom Piefke-Blogger unterscheidet: Wo Sixtus, Don Alphonso & Co. die Lage ihrer Zunft mit dem preußischen Klassiker als „ernst, aber nicht hoffnungslos“ schildern würden, gilt für Gerald Bäck & Landsmänner/frauen immer noch das Watzlawick’sche Gegenwort, demzufolge die Lage zwar hoffnungslos, aber nicht ernst ist. Das ist ja das Schöne an Klischees: Sie stimmen oft.

Hoffnungslos scheint die Lage in der Tat. In der deutschen Medienlandschaft werden Blogger nicht nur deutlich stärker wahrgenommen und selbst von alteingesessenen Traditionsblättern zitiert, sie werden auch oftmals an Bord geholt. Wer etwas auf sich hält, hält sich seinen eigenen Hausblogger. Siehe FAZ. Davon kann man in Österreich nur träumen. Eher noch bloggen Chefredakteure selbst, als einzugestehen, dass es ein anderer auch oder gar besser könnte. Michael Fleischhacker, selbstgerechte Edelfeder der PRESSE ist einer davon.

„Aber was Fleischhacker macht, hat für mich nichts mit Bloggen zu tun“, meint Bäck, „Er verlinkt nie. Er ist selber nicht vernetzt. Es findet keinerlei Interaktion statt – abgesehen davon, dass er manchmal seine Kommentatoren beschimpft. De facto stellt er nur online, was er in Print nicht schreiben mag, oder wofür er keinen Platz mehr in der PRESSE hat. Dass Bloggen etwas mit Community zu tun hat, begreift er, wie auch viele seiner Kollegen, nicht. Die verwenden Blogs als Megaphone und Twitter als Einweg-Kommunikationsplattform.“

Gerade letzteres ist in der österreichischen Szene aber ein absolutes No-Go. Wer nicht zu twittern versteht, kann das mit dem Bloggen genauso gut wieder sein lassen. „Es ist sicher eine Eigenart unserer Szene, dass die Blogosphäre und die Twittersphäre praktisch ident sind“, so Bäck, „Ich kenne zwar Twitterer, die nicht Bloggen, aber ich wüsste keinen ernstzunehmenden Blogger, der nicht twittert.“

Immerhin hat die literarische Kurzform hierzulande eine lange Tradition. Klappt das Schmähführen in 140 Zeichen, rekrutieren sich die Blogleser automatisch. Wenn nicht, dann adieu Blogcharts!

Der Grund liegt auf der Hand: Es sind Blogger, die die Kommunikationskultur der Kaffeehausliteraten und Stammtischpolitiker ins 21. Jahrhundert tragen – und Twitter ist ihr Kaffeehaus 2.0. Nirgendwo macht sich das stärker bemerkbar als in Wien. Hier ist, das wusste schon Friedrich Torberg, Kaffeehaus überall. Es ist „der Katalysator und Brennpunkt des Daseins“. Dazu bedarf es keines physischen Ortes, vielmehr ist es der Geist des Kaffeehauses, der sich tief in die DNA des Wieners eingeschrieben hat. Was das Central, das Herrenhof, das Sacher für Kraus, Polgar und Friedell waren, ist das Café Twitter für die Wiener Blogosphäre.  Es stellt den geistigen Raum, aus dem die Bohéme ihre Lebenssäfte saugt. Und die Bohéme ist längst digital.

Klar, nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Doch die Zweifler mögen sich einfach mal umsehen an jenem virtuellen Kaffeehaustisch, um den sich die (nicht nur) Wiener Blogger versammeln; dort, wo sie – was oft beraunzt wird – „versumpern“ und dem Microbloggen frönen statt der hehren Kunst der Langform. Aber auch das Raunzen darüber hat ja etwas zutiefst kulturell Endogenes. „Zu den beinahe untrüglichen Merkmalen eines Stammgastes“, schreibt Torberg über das Kaffeehaus, „gehörte die Behauptung, keiner zu sein.“

Abseits des Sachertortenklischees ist Kaffeehaus jedoch nicht nur gemütlich. Es ist und war schon immer Ort des politischen Diskurses, Keimzelle für Gegenöffentlichkeiten und Revolutionen. Letztere tragen heute Hashtags. Etwa #unibrennt oder #grueneVW („grüne Vorwahlen“).

Denn so zahnlos wie die Nichtrepräsentanz in österreichischen Holzmedien suggeriert, sind sie nicht, die Blogger und Bloggerinnen des Landes. Der Aufstand gegen ein zutiefst einengendes, „verschultes“ Hochschulsystem wurde ebenso von twitternden Bloggern getragen, wie der Kampf um mehr Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung bei den Wiener Grünen. Oder von bloggenden Twitterern. Wie man’s nimmt.

Aber sie alle nennen es nicht Arbeit. Sie nennen es bloggen. Punkt. Und Bloggen ist mitunter das, was passiert, während du eifrig dabei bist, auf Twitter andere Pläne zu machen. Das mit der Ich-Marke-etablierenden Ernsthaftigkeit kann man derweil entspannt den benachbarten Alpha-Männchen überlassen.

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Demokratie, wie wir sie leben, ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert. Zunehmend werden Stimmen laut, die meinen: Dieses Konzept hat sich überholt. [Erschienen im WIENER 353/10-11]

Weggabelungen erkennt man oft erst rückblickend. Wer dereinst auf das Jahr 2010 zurückblickt, wird sie vielleicht sehen, jene Abzweigung, an der ein Minderheitenprogramm mehrheitsfähig wurde. Bilder flimmern durch den Kopf: Wasserwerfer gegen eine Schülerdemo, Quarzsandhandschuhe im Einsatz gegen Kinder. Und dann das Bild, das um die Welt ging: Ein alter Mann mit ausgeschossenen Augen, gestützt auf Helfer, die sein Sohn und sein Enkel sein könnten. Ein Drei-Generationenbild der Fassungslosigkeit und der Ohnmacht. Man wünscht sich, die Bilder kämen aus einem totalitären Staat, möglichst weit weg, bei einer Revolte gegen die repressive Militärdiktatur, aber man weiß, es ist nicht so: Die Szenen spielen in Deutschland, bei einer Demonstration gegen den neuen Stuttgarter Bahnhof. Eine angemeldete Demonstration wohlgemerkt, ein demokratisch probates Protestmittel gegen ein demokratisch legitimiertes Bauvorhaben. Und man muss kein großer Polemiker sein, um zu spüren: Wenn das Demokratie ist, dann läuft was falsch.

„Postdemokratie“ nennt es der britische Autor Colin Crouch in seinem gleichnamigen Essay, ein System, bei dem die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind, von Politikern und Bürgern aber nicht mehr mit Sinn gefüllt werden: „Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu, in der Folge ist das egalitäre Projekt zunehmend mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert.“

Eine Ohnmacht, die nicht sein müsste, wenn man im Dialog bleibt, wenn das Volk als Korrektiv seiner Repräsentanten wirklich Stimme und Gehör hätte und zwar ständig, nicht bloß alle vier/fünf Jahre mittels Kreuzerl. Denn in einer Demokratie, das besagt auch die österreichische Verfassung, geht „alle Macht vom Volke aus“. Man muss die demokratisch-gewählten Vertreter bloß manchmal daran erinnern.

In diese Bresche schlägt auch unser aller Lieblingspolitologe Peter Filzmeier. „Es ist Zeit, über eine Stärkung der Einbeziehung des Volkes nachzudenken“, analysiert er, „Historisch gesehen hat Österreich gemeinsam mit Deutschland ein Defizit der Direktdemokratie. Aus guten Gründen. Weil das Volk von der Propagandamaschinerie der Nazis indoktriniert wurde, setzte man 1945 lieber auf Parteien und repräsentative Demokratie. Heute sind damals richtige Argumente überholt.“ – Zorniger Nachsatz: „Die Parteien haben ihre Branche Politik ruiniert.“

Wo jedoch die Führungselite einer Branche keine Ideen mehr hat, lohnt es sich, die Basis zu fragen. Gelernte Lektion: In Branchen, wo das bereits Usus ist, gibt der Erfolg dem System Partizipation recht. Fallbeispiel gefällig? Der IT-Consultant Klaus Hammermüller hat jahrelang für IBM gearbeitet und dort hautnah erlebt, wie viel die direkte Beteiligung der Betroffenen bringen kann: „Ich hab in so einem großen multinationalen Konzern mehr Demokratie erlebt, als als Bürger in Österreich. Da werden alle 400.000 Mitarbeiter eingeladen, mitzudiskutieren.“ Wer global agiert, kommt um web-basiertes Handeln nicht herum. Bei IBM kommen interne Software-Lösungen zum Einsatz, die Raum für Meinungsaustausch und Entscheidungen bieten. Sämtliche Mitarbeiter können Vorschläge formulieren, über die dann abgestimmt wird. Oft mit unerwarteten Ergebnissen für die Führungsspitze.

Hammermüller: „Wenn der erste Vorschlag des Managements auf Platz 7 aufscheint und der erste Vorschlag der Experten aus den Laboren auf Platz 5, während die obersten 4 Plätze an Vorschläge aus dem ‘Fußvolk’ gehen, dann zeigt das schon auf, welches Potential ungenutzt bleibt, wenn man immer nur ‘die Oberen’ oder ‘die G’scheiten’ entscheiden lässt.“

Die Motivation, sich aktiv einzubringen ist groß unter IBM-Mitarbeitern. Sie entspringt dem glaubhaften Versprechen, dass sich etwas bewegt, dass tatsächlich etwas entschieden, nicht nur heiße Luft produziert wird. Im konkreten Fall ging es um die Veränderung der Managementstrukturen; ein anderes Mal um Fragen der Budget-Allokation: Was machen wir mit 11 Millionen Dollar? In beiden Fällen erzielte der partizipative Prozess innerhalb von 4 Wochen ein verbindliches Ergebnis – und das, obwohl mit ein paar hunderttausend Menschen umfangreich diskutiert wurde. Man denke nun ruhig ein wenig schadenfroh an Expertenräte und Sonderprojektgruppen, in denen sich knapp 10 Leute jahrelang nicht auf eine Lösung einigen können.

Im Übrigen: Dass sich so ein System auch auf nationalstaatliche Ebene übertragen lässt, beweist das Paradebeispiel Schweiz seit einer halben Ewigkeit. Hier zeigt sich auch, dass Kantone mit mehr direkter Demokratie wirtschaftlich erfolgreicher sind, als Kantone mit weniger Bürgerbeteiligung. Den Unterschied möchte man Klavierspielen können: 15 Prozent (gerechnet am BIP/Kopf).

Und da wären wir wieder bei Stuttgart 21. Es geht nicht darum, ob die Kosten für den Bahnhof explodiert sind, es geht darum, ob über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden wurde. Denn auch der Gotthardtunnel kostet Steuermilliarden, aber er trifft auf Akzeptanz in der Schweizer Bevölkerung. Man wurde nicht übergangen.

Au ja, Basisdemokratie ist anstrengend. Will man immer über alles befragt werden? Kampfhundeführerschein, Hausbesorger, Nacht-U-Bahn und Zeugs? So abstimmungswütig sind wir gar nicht. Hammermüller: „Es geht nicht darum, dass jeder Bürger immer für alles verantwortlich ist und sich um alles kümmern muss, sondern um einen Korrekturmechanismus, der die Politiker zwingt, an das zu denken, was das Volk bewegt, nicht nur, was die eigene Klasse bewegt.“

In der Schweiz ist eine Lernkurve seitens der Politiker zu beobachten, resultierend aus dem Zusammenspiel zwischen Parlamentarismus und Volksbefragungen. Bei Implementierung des Systems wurden 50% der Parlamentsentscheide vom Volk verändert, heute sind es gerade mal 4%. Nicht, weil das Volk den Abstimmungs-Enthusiasmus verloren hätte. Die Politiker haben die Abgehobenheit verloren. Angela Merkel, die Stuttgart 21 zur „Chefsache“ erklärt hat, schmeckt das weniger. In einem Interview bemerkte ihr Innenminister lapidar: „Die Frage ist, ob wir uns an demokratisch legitimierte Beschlüsse halten oder ob wir künftig per Umfragen regieren.“ Übersetzung: „Die Demokratie bin ich!“ Absolutismus reloaded?

Es ist leicht, sich in ein konstruiertes Gegensatzpaar „Demokratie / Demoskopie“ zu verbeißen. Anspruchsvoller ist es, Demokratie einer veränderten, zunehmend pluralen Gesellschaft anzupassen, sie zeitgemäß zu gestalten, auch mit den Möglichkeiten, die uns heute – im Gegensatz zum 19. Jahrhundert – technisch zur Verfügung stehen. Ein System, das unter den Bedingungen langsamer Kommunikation und langwieriger Reisen entstanden ist, muss sich zwangsläufig ändern in einer Zeit der Glasfaserkabel, der Informationsübertragung in Sekundenbruchteilen. Und unsere grundlegendste Struktur soll sich den grundlegendsten Strukturumbruch nicht zunutze machen? Hammermüller: „Die Tools dürfen aber nicht im Vordergrund stehen. Sowie die Demokratie immer nur Werkzeug, nie Selbstzweck sein darf, gilt das auch für Technik, die man für Partizipations-Prozesse einsetzt: Sie müssen an die jeweiligen Bedürfnisse der Gesellschaft angepasst sein.“

In Deutschland wird derzeit mit der web-basierten Software-Lösung „Adhocracy“ experimentiert (siehe nächste Seite) Sie ermöglicht – ähnlich wie im IBM-Beispiel – Diskussionen, Vorschläge, Abstimmungen. Aber auch die Möglichkeit, seine Stimme zu delegieren. Ein möglichst flexibles System; die Verfechter sprechen deshalb von „Liquid Democracy“, von einer „Verflüssigung“ starrer Formen.

„Repräsentative Demokratie ist bisweilen unbefriedigend, da über ganze Bündel an Positionen abgestimmt wird. Die meisten Wähler dürften eine Partei nicht wegen aller Positionen, sondern trotz einiger wählen“, bringt es ein Nutzer auf den Punkt. Hier setzt „Liquid Democracy“ an: Man will die festgeschnürten Bündel aufdröseln, will mit Parteien Themenpartnerschaften eingehen, aber auch die Möglichkeit haben, sich von manchen ihrer Positionen zu distanzieren. Und sei es ein Bahnhofsbau.

Selbstermächtigung statt Ohnmacht. Und das auch noch technik-gestützt. Kein Wunder, dass es sich um ein Nischenprogramm, um das Steckenpferd einer Minderheit handelt. Aber Weggabelungen erkennt man oft erst rückblickend. Vielleicht stehen wir an einer.

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