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Die Revolution schreibt ihre eigene Geschichte: Ein Jahr nach dem „heißen Herbst“ kommt #unibrennt ins Kino. Nostalgie mit Sprengstoff. [geschrieben für den WIENER 352 / Dezember 2010]

Unabhängigkeit von einem fremdbestimmten Medienbild. Das war von Anfang an wichtig für eine Bewegung wie #unibrennt. Statt abzuwarten, ob „Heute“ wohlgesinnt (oder überhaupt) berichtete, schuf man lieber „Morgen“, die U-Bahnzeitung Marke Eigenbau, und drückte dem verwirrten Kleinbürgertum am Weg in den Duckmäuseralltag ein Stück Autonomie in die Hand. Statt auf abfallende Sendeminuten beim ORF zu hoffen, ging man selber „on air“. Und das 24-Stunden-nonstop mit dem inzwischen legendären Livestream.

Die Unis brannten ausgehend von Wien weltweit. So ein Lauffeuer hat keine Zeit, zu warten. Schon gar nicht auf die eingerosteten Mühlen eines etablierten Mediensystems. Die Revolution ward getwittert – und auch der WIENER stand damals ehrfurchtsvoll staunend vor dieser medialen Machtdemonstration 2.0. „Die selbstorganisierte Berichterstattung“, schrieben wir damals, „ist ein Stück aufgeklärter und aufklärender Informationsvermittlung zum Niederknien.“

Nur logisch, dass die Protestierenden auch die Bilder für die Nachwelt selbst gestalten wollten. Die „Arbeitsgruppe Dokumentation“ (AG Doku) wurde gegründet, prozessbegleitend. Von den ersten euphorischen Versammlungen über absolute Highlights, wie etwa den Vortrag Jean Zieglers im besetzten Audimax, bis zur zunehmenden Überforderung durch Obdachlose, durch Konflikte, durch die Nullreaktion der Politik. Bis zum Scheitern des sogenannten „Bildungsdialogs“, ein gestreckter Mittelfinger in Richtung Wilhelm von Humboldt.

Die Unis brannten – und die AG Doku hielt die Kamera drauf. Sie folgte der Flammenspur und nahm die Kamera mit nach Utrecht, nach Paris, nach London. Über 900 Stunden Filmmaterial sind so entstanden, schonungslos offen. Da wurde kein Wimmerl per Bildbearbeitung geschönt und kein Belichtungsregler nachjustiert. Da wird in vielen kleinen Geschichten Geschichte erzählt.

Die österreichische Produktionsfirma coop 99 hat das Material gesichtet, geschnitten und einen 90 Minuten Film produziert. Das ist nicht unproblematisch, denn Film und Basisdemokratie verträgt sich ebenso wenig wie Informationsfreiheit und Copyright. Einer muss das Sagen haben beim „Final Cut“, einer setzt die Verträge mit den Verleihfirmen auf. Dass es dennoch gelungen ist, zumindest in Ansätzen, die spezielle Form der basisdemokratischen Arbeit der #unibrennt Bewegung in einem Filmprozess weiterzuführen, ist coop99 hoch anzurechnen. Auf die Deutungshoheit eines Off-Kommentars wurde verzichtet, dem #unibennt-Motto „Eine/r von vielen“ folgend, werden bei Interviews mit den Studierenden keine Namen eingeblendet. Dass allerdings auch nie Daten oder Erklärungen der Grafiken eingeblendet werden, macht den Film für „Neueinsteiger“ schwierig. Auch dass die AG Doku ihr Material lizenzfrei zur Verfügung stellte, der coop99-Film seinerseits aber – das hat die Firma klargestellt – nicht lizenzfrei im Netz zu sehen sein wird, macht keinen schlanken Fuß.

Dennoch: Der Film zeigt klar, dass es um mehr geht als um Studiengebühren und Zulassungsbeschränkungen. Es ist ein Film über eine Gesellschaft auf dem Prüfstand, über eine Welt, die sich neu positionieren muss. Brandaktueller Sprengstoff.

Trailer:

#unibrennt – Bildungsprotest 2.0

  • Dokumentarfilm, 90 Minuten (A 2010)
  • Produktion: Antonin Svoboda / coop99
  • Regie: AG Doku und Valentin Renoldner
  • Basierend auf 900 Minuten Filmmaterial der AG Doku
  • Kinos und Beginnzeiten: HIER

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