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Die große Krise folgt der großen Freiheit auf den Fuß: Die digitale Bohème sitzt in der Sozial-Falle. „Raus aus den Bademänteln!“ befehlen Karin Ruthardt und Yves Schulz – und zeigen im WIENER ihren Gegenentwurf. [Erschienen im WIENER 349 / September 2010]

Am Anfang sieht alles so rosarot aus wie Omas Plüschschlapfen, in denen man fortan seine Arbeit verrichten möchte. Adé Festanstellung – willkommen in der Ich-AG! Neue Selbstständigkeit, das bedeutet freie Zeiteinteilung, keine nervigen Machtspielchen zwischen Kollegen und arbeiten in der Unterhose. Oder auch ohne, wenn’s mal heiß ist.

Statt Filterkaffee in der grauslichen Betriebskantine gibt’s Latte Macciato im Schanigarten der Wahl. Man hat ja ein Notebook, ist flexibel und endlich ungebunden. Von „digitaler Bohème“ spricht das Feuilleton gerne oder nicht minder romantisierend von „digitalen Nomaden“, von der großen Freiheit Nummer 2.0: Nicht ich bin dort, wo die Arbeit ist, sondern die Arbeit ist, wo ich bin. Kurz: Genuss pur – jedoch selten länger als zwei Wochen…

Denn mit der fehlenden Außen-Struktur eines Unternehmens wird meist unbemerkt auch die eigene, die innere Strukturiertheit in die Tonne getreten. Plötzlich ist nichts so wichtig wie Staubsaugen. Danach gehören die Bleistifte gespitzt und fein säuberlich nach Härtegrad sortiert. Auch die Zimmerpflanzen wurden schon ewig nicht mehr umgetopft. Adé Festanstellung – willkommen Erledigungsblockade und Aufschieberitis!

„Das ist aber längst nicht das einzige Problem“, meint Yves Schulz, neuerdings selbstständig, „Die Leute werden tatsächlich wunderlich. Wer Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmer in einem benutzt, geht irgendwann gar nicht mehr auf die Straße, trifft keine anderen Menschen. Der soziale Austausch geht verloren.“ Keine Kollegen, keine Nestwärme. Der Mensch, von Natur aus als soziales Wesen angelegt und – weitaus mehr als andere Säugetiere – ohne seinen Sozius gar nicht lebensfähig, steckt in der Klemme. Luxusproblem? Mitnichten.

„Weniger als zwei Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland haben noch einen Normaljob, der voll sozialversicherungspflichtig und unbefristet ist“, verlautete erst kürzlich der SPIEGEL. Auch in Österreich muss man nicht erst Studien in Auftrag geben, um zu sehen, dass sich der Arbeitsmarkt im Umbruch befindet, dass Beschäftigungsverhältnisse heute in der Regel kürzer, flexibler und unsicherer angelegt sind als noch vor 20 Jahren. Die Zahl der Soloselbständigen wächst. „Working 9 to 5” – dereinst von Dolly Parton besungen und zum Gräuel erklärt – ist für viele Erwerbstätige gar keine Option. In jeder Form von Kreativindustrie zum Beispiel ist die Festanstellung rar, Freelancing die Norm.

Gesucht wird also wieder einmal die eierlegende Wollmilchsau unter den Arbeitsverhältnissen. Am besten mit der Infrastruktur eines Konzerns, dem sozialen Netz einer Kollegenschaft und der Freiheit der neuen (digitalen) Selbstständigkeit. The best of both worlds. “Das gibt es”, sagt Yves Schulz, “Es heißt Coworking und ist eine Idee aus den USA. Derzeit auf Siegeszug in ganz Europa.“ Das Konzept ist leicht erklärt: In sogenannten „Coworking Spaces“ trifft man sich zum gemeinsamen Arbeiten – gemeinsam wohlgemerkt, aber nicht zusammen. Denn hierher kann es einen Webdesigner ebenso verschlagen, wie einen Anwalt. Oder einen Tennislehrer, der heute gerade seine Buchhaltung erledigen will. Coworking Spaces sind spartenübergreifend. Sie stellen die benötigte Infrastruktur – etwa WLAN, eine professionelle Druckerlandschaft und natürlich die obligate Kaffeeküche – zur Verfügung, überlassen das Weitere aber den Nutzern. Man mietet sich Tageskarten oder Zehnerblocks, gegebenenfalls ein Monatsticket, und entflieht der Solistenfalle.

„Das wäre genau das richtige für mich“, meint auch WIENER-Fotograf Marco Rossi bei der Besichtigung des Coworking Spaces „Sektor 5“, den Yves Schulz mit seiner Partnerin Karin Ruthardt gerade in Wien aufbaut, „Ich sitze den ganzen Tag zuhause vor dem Computer und starre oft tagelang die selbe Wand an.“

Man mag witzeln über die „Kommune der Schreibtisch-Solisten“ über die Bürokollegen, die es um durchschnittlich 19.- Euro pro Tag zu mieten gibt, tatsächlich aber schafft Coworking Synergien und Mehrwert. Denn Wertschöpfung – so das internationale Motto der Coworking Spaces – findet längst nicht mehr in klassischen Büros statt. Werte werden überall geschaffen, an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten. Und zusammen ist man einfach weniger allein.

„Natürlich kann man auch ins Kaffeehaus gehen, wenn man Menschen um sich haben will und die Geräuschkulisse sucht“, meint Schulz, „Aber konstruktiven Austausch findet man dadurch trotzdem nicht. Es gibt niemanden, den man fragen kann: Sag mal, was hältst du von dem Projekt?“ Zudem bietet „Sektor 5“ auch noch zusätzliche Services an, etwa die Kooperation mit einem mobilen Sekretariat und, auf Wunsch, mit einer Steuerberatungsfirma, die den freischaffenden Coworkern unter die Arme greift. Da Coworking Spaces weltweit wie die Schwammerln aus dem Boden schießen, ist auch eine Art internationales „Coworking Visum“ angedacht: Wer Mitglied im „Sektor 5“ wird, könnte mit dieser Mitgliedschaft jederzeit verwandte Räume in Berlin (www.betahaus.de), Lissabon, Melbourne oder Seattle aufsuchen und einen Arbeitstag dort verbringen.

Auch etablierte Firmen erkennen zunehmend das Potential des Systems. „Solange du in einem Konzern arbeitest, endet dein Arbeitshorizont an den Konzerngrenzen. Frischer Input dringt kaum zu dir durch“, so Ruthardt, „Daher gibt es die Idee, dass sich Firmen einen Fixplatz im Coworking Space reservieren und jeden Tag einen anderen Mitarbeiter hinschicken, der einfach mal raus muss oder einen kreativen Schubs braucht.“ Und dieser Schubs kommt wie das Amen im Gebet. Das zeigen internationale Erfolgsstorys von Firmen, die Dank Coworking Space gegründet wurden, von burn-out gefährdeten Investment-Bankern, die ihre Berufung als Kaffee-Importeure fanden…

Ob die österreichische Mentalität reif für das Konzept ist, wird sich ab Mitte September zeigen. Da eröffnen Schulz und Ruthardt ihren „Sektor 5“. Lümmelmöbeln, Kochlöffel und Engagement werden noch gesucht. Arbeitsplätze stehen zur Verfügung – aber beeilen Sie sich, es könnte ein G’riss drum geben!

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Ich mag keine Kundenkarten. Aber ich mag auch nicht, wenn jemand anderer dafür büßen muss.

„Haben Sie eine Billa-Vorteilsclub-Karte?“ fragt der freundliche Lehrling mit favoritner Migrationshintergrund, der neuerdings an der Kassa sitzt. Ich mache mich auf das Gespräch mit den beiden Nein-Antworten gefasst, die bei mir default-mäßig ausgegeben werden: Erstens, nein, ich habe keine. Zweitens (auf die obligate Nachfrage), nein, ich will auch keine.

Damit ist die Sache meistens erledigt, ich darf mein Joghurt nehmen und gehen. Nur in hartnäckigen Fällen ist noch mit der Frage „Warum nicht?“ zu rechnen. Für diese hab ich immer parat: „Weil ich an Datenschutz glaube.“ Ist ebenfalls default-Einstellung und, ehrlich, that shuts them (aber so was von) up! Darauf haben bislang noch alle ihre Kundenkarten-Andreh-Versuche eingestellt.

Ist natürlich kompletter Blödsinn. Im Grunde ist es mir wurscht, dass Billa meine Einkäufe speichert und präferenzanalysiert. Sollen sie doch wissen, dass ich einen übermäßigen Red-Bull-Konsum hab, davon fällt mir kein Zacken aus der Krone. Würden sie meine Twitterei verfolgen, wüßten sie ohnedies Bescheid. Dann könnten sie auch aufhören, mich mit Katzenfutter-Spam zu beschicken, bloß weil ich vorzeiten ein gedankenverlorenes Häkchen unter einen Whiskas-Zettel gemacht habe. Sie hätten dann nämlich vom Ableben meiner Katze gelesen und als gewiefte Werber müssten sie sich’s drei Mal überlegen, ob sie sich mit „Für ihren samtpfötigen Liebling“- Briefen derart in die Nesseln setzen wollen…

Soviel also zu meiner ernsthaften Sorge um meine Konsumdaten: Es gibt sie nicht.

Aber ich mag einfach keine Kundenkarten. Been there, done that – und jetzt will ich nimma. Sie pflastern mir das Geldbörsel voll, man findet sie eh nie, wenn man sie braucht und das G’fret in der Handhabung wiegt die minimalen Preisvorteile gemeinhin auf. Aber bevor ich das jedes Mal langwierig erkläre und Verständnislosigkeit ernte, sage ich lieber mein Datenschutz-Satzerl. Auch den Zeugen Jehovas sage ich, dass ich Satanistin bin. Man hat dann einfach seine Ruhe.

Oder auch nicht. Mister Favoritner-Migrationshintergrund will es nämlich genauer wissen: „Aber Sie sind doch fast jeden Tag da! Das zahlt sich für Sie voll aus!“, sagt er traurig bis vorwurfsvoll nach meinem zweiten Nein. Ich krame das Datenschutz-Satzerl hervor und will siegessicher nach dem Joghurt greifen, darauf er: „Wie meinen Sie das?“.

Ich erklär ihm also, dass sein Arbeitgeber, mittels Kundenkarte alle meine Einkäufe speichert. Er: „Und was machen die dann damit?“. Ich: „Na, zum Beispiel personalisierte Werbung.“

„Was?“, fragt er ehrlich erstaunt, „Die schicken dann immer Werbung oder wie?“. Inzwischen hat sich eine kleine Kassaschlange gebildet und der nette Herr, der seine Alkoholfahne dezent in meinen Nacken wehen lässt, nickt zustimmend: „Ich krieg immer was über Katzenfutter.“ (Ha, der also auch!)

Bestätigendes Gemurmel entlang der Schlange, zunehmend verunsichertere Blicke meines Gegenübers. Ich glaub, er fühlt sich gerade ein bisschen wie der Handlanger einer kriminellen Vereinigung, Lockvogel der Werbe-Mafia, Datenwüstling wider Willen. Und dabei wollte er doch bloß mein Haushaltsbudget entlasten. Er tut mir leid.

Was soll ich sagen? Ich hab den Wisch ausgefüllt und eine Karte genommen. Darn!

[Text für Zeit im Blog 21]

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Special Interest

Mit 1. Oktober dreht der ORF  sein Portal „Futurezone“ ab. Weil Netzpolitik ja eh nur was für Nerds ist. [Erschienen im WIENER 349 / September 2010]

Die Zukunft ist ein unentdecktes Land. Das wussten bereits Hamlet und Captain Kirk. Jene Zukunft, die dem ORF Portal „Futurezone“ angediehen werden soll, ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Kolumne ganz besonders unentdeckt. Und ich behaupte einmal, auf Holz klopfend, das wird, nein, muss sich in den nächsten Wochen ändern. Sie, der Leser, haben somit möglicherweise bereits einen Informationsvorsprung vor mir, der Kolumnistin. Ich riskier’s trotzdem.

Gegenwärtig jedenfalls sind die drei Parzen noch am Spinnen. Die Parzen, das sind der ORF, der Verband Österreichischer Zeitungsverleger (VÖZ) und ein möglicher Käufer. Das Wort spinnen dürfen Sie nach Belieben interpretieren.

Back to the Futurezone. Die Futurezone ist/war eines der wichtigsten Medien Österreichs. Am 1. Oktober wird sie abgedreht – als Ergebnis eines Kuhhandels, der dem ORF mehr Werbeeinnahmen erlaubt und dafür die Desinformation der Konsumenten achselzuckend in Kauf nimmt. Natürlich gibt es auch andere Periodika, die sich mit den Kernthemen Web, Online Zukunft und Netzpolitik beschäftigen. Nur im Gegensatz zur Futurezone sind diese Berichte nicht an ein öffentlich-rechtliches Medium geknüpft, sondern privatwirtschaftlich finanziert. Warum man polit-technologische Berichterstattung nicht einzig und allein den anzeigenabhängigen Medien (und da nehme ich den WIENER durchaus nicht aus) überlassen will? Na raten Sie mal.

Viel ist schon gebloggt und geklagt worden. Auch dass die Futurezone selbst, beileibe nicht fehlerfrei, so manchen Topfen verzapft hat. Auch dass der VÖZ ein Recht darauf hat, seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Geschenkt. Auf diese Diskussion will ich mich gar nicht einlassen. Klicken Sie sich auf www.wienerpost.at die Linksammlung zum Thema durch und machen Sie sich Ihr eigenes Bild.

Was jedoch seit Anbeginn der Diskussion an mir nagt, ist das Argument, die Futurezone sei ein „Special Interest“ Kanal. Weil z.B. der polizeiliche Datenaustausch in der EU, wie er durch den Prümer Vertrag geregelt ist, unter „Special Interest“ fällt und kaum jemanden etwas angeht? Aha. Oder das SWIFT-Abkommen zur Übermittlung von Bankkundendaten an die USA? Vorratsdatenspeicherung, ACTA, E-Voting? Betrifft natürlich niemanden. Ist nur was für Nerds.

Willkommen in der Offline-Mentalität der Österreicher! Man trägt es gern auf den Lippen, das schicke Wort „Informationszeitalter“, aber im Grunde will man doch nicht zu sehr daran anstreifen.

„Das Digitale erleidet ironischerweise das selbe Schicksal wie die Kultur in Österreich“, schreibt der IT-Profi Georg Leyrer in seinem Blog, „Es wird nur dort gepflegt und ernst genommen, wo es bestehenden Strukturen – insbesondere dem Tourismus – nützt. Zimmerbuchung und Wetterdienst statt Innovation. Der Rest wird misstrauisch beäugt, höchstens toleriert oder auch schnell mal als Spinnerei abgetan.“ Internetdefensive statt Internetoffensive.

Und wo das offizielle Österreich gekonnt die zunehmende Digitalisierung und ihre Konsequenzen aus dem Gesichtsfeld drängt, braucht man sich über eine ähnliche Mentalität im Kleinen nicht wundern. Zwar tummeln sich über 2 Millionen Österreicher auf Facebook und (Schätzungen nach) demnächst 1 Million auf Netlog. Aber nachdenken, was man da eigentlich tut? Nö. Das wäre zu viel des Guten. Da schauen wir lieber Grey’s Anatomy.

Jedes Land hat die Medien, die es verdient. So viel zum Ende der Futurezone. War ja bloß Special Interest.

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Digital Dingsbums

Digitale Etikettierung lauert überall. Ich bin ein „Resident“ – was sind Sie? [Erschienen im WIENER 348 / August 2010]

In seinem berühmten Aufsatz „Wie wir denken werden” sprach der Computer-Pionier Vannevar Bush bereits 1945 von digitalen Trailblazern. Dem wohnt eine gewisse Abenteurerromantik inne: Eine Generation von Entdeckern, die auszieht um das letzte verbliebene Neuland zu erforschen, nachdem der Mensch bereits die ganze Welt kartographiert und entzaubert hat. Dieses Neuland, „the new frontier“, heißt Wissen und Erkenntnis. Den Begriff Trailblazer hat Bush dabei der Eroberung des amerikanischen Westens entlehnt. Heerscharen von Hackern bekommen feuchte Augen, wenn sie davon hören.
Nennt mich eine Ketzerin, aber für mich hat Bush damit genau eines getan: Er hat das erste Buzzword der Net Generation (auch eins!) geprägt. Das ist unverzeihlich.

Was ein Trailblazer ist, weiß heute fast keiner mehr. Aber wir ersticken im Buzzword- und Etikettierungsdschungel. Und es ist wirklich nicht immer leicht, ein etikettierter Digital Dingsbums zu sein. Vor allem dann nicht, wenn man sich wie ich in keiner der Kategorien so richtig heimisch fühlt.

Digital Native, also eine, deren Muttermilch bereits binär codiert war, bin ich ja nicht. Mein Geburtsjahr liegt deutlich vor dem Einzug des Computers in den medialen Alltag der Österreicher. Überhaupt: Wer über 25 ist, sollte keinen rosa Lippenstift tragen, seine Freunde nicht mit „Yo! Atze!“ begrüßen und mit der Eigendefinition als Digital Native vorsichtig umgehen. Wirkt sonst ein bissl lächerlich, da kann er (oder sie) noch so versiert „Plants vs. Zombies“ am iPad spielen: Er ist und bleibt – in der klassischen Definition – stets ein Digital Immigrant, also ein „Einwanderer“ in Cyberworld. Einer, dem die Sprache oft spröde, nie akzentfrei über die Lippen kommt und dessen Wetterfühligkeit sich meldet, wenn der virtuelle Himmel voller Clouds hängt. Kurz: Ein Fremder, der, das mag sein, halbwegs gut angepasst ist, dabei aber – um es mit dem österreichischen Verfassungsgerichtshof zu sagen – bloß „rechtswidrig integriert“ (Kotzkübel gefällig?).

Liegt eben in der Natur des Menschen, lustvoll dem Antagonismus zu frönen. Wo er uns nicht gleich ins G’sicht hupfen, helfen wir gerne nach und erschaffen ihn selber: Schwarz vs. Weiß. Printmedien vs. Online. Early Adopters vs. Never Adopters. Natives vs. Immigrants. Dagegen ist Plants vs. Zombies echt ein Ponyhof.
Es mag mein persönlicher Spleen sein, aber mir sind Antagonismen unsympathisch. Was, wenn man dazwischen fällt? Weder Pflanze, noch Zombie?
Das einzige, was an mir native ist, ist mein Olivenöl. Ansonsten ist dieser Zug ist angefahren. Als Immigrant fühl ich mich aber auch nicht! Gut, in einer Runde von Hackern, die ihren Kaffee in PHP bestellen, bin ich bestenfalls eine Mini-Jane-Goodall, schlechtestenfalls bloß störend. Dort lass ich mir jederzeit gerne „Immigrant“ auf die Stirn picken. Aber gegenüber dem Durchschnitt meiner Kohorte bin ich Cyberchick pur. Mein Digital-Dingsbums-Etikett sollte variabel gestaltet sein, kontextabhängig!

In diese Kerbe schlägt David White, E-Learning Developer in Oxford, der nicht Geburtsjahr, sondern Engagement als Differenzmerkmal betrachtet. Anstelle von Natives und Immigrants spricht er von „Digital Residents“ und „Digital Visitors“. Ersterer sieht das Netz als (Lebens-)Raum, letzterer hingegen als eine Ansammlung von Tools. Da bin ich voll bei ihm, weil es Entscheidung über Geburtsprivileg stellt. Wenn schon Schubladen, dann selbstgewählte.

Und die Trailblazer kommen dabei auch auf ihre Kosten. Sie dürfen sich rühmen, das Land für die Residents ersiedelt zu haben. Was Vannevar Bush dazu sagen würde?

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Daten her!

Regierungen schreien weltweit nach einem „transparenten Bürger“. Dann sollen sie aber erst mal selber Transparenz vorleben! „Open Government Data“ lautet die Devise. [Erschienen im WIENER 348]

Am Tag als das Wasser kam, ging Jerry Kennedy gleich drei Mal in die Badewanne. Wir schreiben das Jahr 2004 und Kennedy, amerikanischer Staatsbürger, hatte die ersten 54 Jahre seines Lebens ohne Anschluss an das Wasserleitungsnetz verbracht. Nicht, weil es in Zanesville, Ohio keine Leitungen gab – es gab sie bloß nicht für Schwarze. Während Kennedys weiße Nachbarn längst eine Waschmaschine ihr eigen nannten, wartete Kennedy mit dem Wäschewaschen immer auf den nächsten Regenguss. Sie haben richtig gelesen: 2004.

Das sollte sich ändern, als ein Anwalt aus Washington einen Blick auf die Stadtdaten warf: Welche Häuser der Stadt hatten Leitungen? Wo hatten sich schwarze, wo weiße Bewohner angesiedelt? Die Korrelationen waren zu aussagekräftig, um länger ignoriert zu werden. Die Folge: Ein Gerichtsurteil, das die Stadt zwang, endlich Wasser für alle zur Verfügung zu stellen. Plus 10,9 Millionen Dollar Schmerzensgeld.

Dieser Erfolg lässt sich auf ein simples amerikanisches Gesetz zurückführen. Nein, nicht Bürgerrechte oder Gleichbehandlung, sondern auf den Freedom of Information Act, der jedem Bürger das Recht gibt, sämtliche Regierungsdaten einzusehen. Sobald Daten erhoben werden, müssen sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, seien es nun Wasserleitungsdaten, Ethnizitäten oder bloß die Anzahl von McDonalds Restaurants in Schulnähe.

„Das ist auch richtig so“, bekräftigt Open-Data-Experte Max Kossatz, „Alle Informationen, die von einer Regierung gesammelt werden, sind durch öffentliche Gelder finanziert. Im Gegenzug müssen sie der Öffentlichkeit auch uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Diese Daten betreffen uns alle: Umweltdaten, Verkehrsdaten, Finanzdaten, Parteienförderung, Luftfahrtsdaten etc.“

Dabei geht es gar nicht um das Veröffentlichen von Staatsgeheimnissen. Im Grunde sind alle diese Daten bereits öffentlich. Die Geodaten von Wien etwa sind ja keine Verschlusssache. Sie werden jedoch nicht gratis zur Verfügung gestellt, sondern an Firmen verkauft, die Karten herstellen. Diese erwerben dadurch das Recht, sie weiterzuverkaufen und die Stadt Wien verdient dabei ein bisschen Taschengeld. „Als Bürger zahle ich dann aber zweimal für die Daten; erst durch mein Steuergeld für ihre Erhebung und dann muss ich sie kaufen, wenn ich sie nutzen will“, sagt Kossatz.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Niemand ist der Stadt ihre Einkünfte neidig. Es hat sich nur gezeigt, dass Daten, die der Öffentlichkeit gratis und ohne Copyright-Einschränkungen zur Verfügung stehen, über Umwegrentabilität weitaus mehr Geld in die Stadtkassa fließen lassen, als jene, die eifersüchtig gehortet und nur an ausgewählte Geschäftspartner verkauft werden. Das belegen Erfahrungen aus England, wo seit kurzem sämtliche erhobenen Daten öffentlich zugänglich sind. „Daten sind in ihrer reinen Form stinklangweilig“, sagt Internet-Erfinder Tim Berners-Lee, der gemeinsam mit dem damaligen Premierminister Gordon Brown das Projekt „Data Government U.K.“ auf Schiene brachte, „Aber sie tragen ganz wesentlich dazu bei, was in unserem Leben geschieht. Und wenn man Daten kreativ miteinander in Beziehung setzt, öffnet man die Schleuse für eine ungeahnte Vielfalt von Projekten. Genau an diesem Punkt stehen wir gerade: Wir fordern alle Regierungen auf, ihre unbearbeiteten Rohdaten zur Verfügung zu stellen. Es gibt genug Leute da draußen, die damit arbeiten wollen – auch wenn es keine unmittelbare Rendite für sie gibt.“

Beispiel gefällig? Einer der ersten Datensätze, die in England online gingen war eine Statistik über Fahrradunfälle. Unnötig und uninteressant könnte man meinen. Weit gefehlt. Innerhalb weniger Stunden (!) nach der Veröffentlichung hatte bereits jemand eine Integration dieser Daten mit Google Maps programmiert, sodass die Strecken mit der größten und jene mit der geringsten Unfallwahrscheinlichkeit klar sichtbar wurden. Und Menschen begannen ihre tägliche Arbeitsroute danach zu richten.

Kossatz: „Man weiß im Vorhinein nie, welche Daten im herkömmlichen Sinne »sinnvoll« sind. Aber je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto mehr kann man damit anfangen. Auch bei Wikipedia hat am Anfang niemand geglaubt, dass das sinnvoll ist…“

Gerade mit Geodaten gibt es inzwischen die unglaublichsten Beispiele. Vor allem, weil die USA unter dem Motto „Apps for Democracy“ einen Innovations-Wettbewerb ausgerufen hat – Projekte über Hygienestandards in Restaurants (http://eat.clean.ly) bis zur ökonomischeren Parkplatzsuche (www.parkshark.mobi) waren die Folge. Und in New York finden Sie seither auch leichter einen Hundepark, wenn sie mit Bonzo Gassi gehen wollen (www.heywalkies.com).

Wenn Geodaten der Anfang sind, so sind Finanzdaten die Ausbaustufe. Gerade hier zeigt das Parade-Beispiel der englischen Regierung, was bei vorhandenem politischen Willen alles möglich ist. „Ich glaube, dass das Offenlegen von Finanzdaten einen großen Impact hat!“ meint Kossatz, „Momentan ist es so, dass ich Steuern einzahle, aber wohin mein Geld fließt und was damit passiert, ist nicht nachvollziehbar. Mit der Offenlegung der Daten wird all das transparenter. Für die Politik, für den Staat ist das wichtig, um seine Existenz zu berechtigen, um wieder einmal zu zeigen, warum es ihn eigentlich gibt und was er tut.“

Kein Wunder also, dass sich die britische Seite Where does my money go? (www.wheredoesmymoneygo.org) regen Interesses erfreut. „Wenn sich das auch nicht auf das Wahlergebnis auswirkt, so wirkt es sich mittelfristig auf die Politikverdrossenheit, auf die Wurschtigkeit der Bevölkerung aus.“

In Österreich kann man davon nur träumen. Zwar gibt es Initiativen, die sich um Datenfreigabe bemühen, die Beharrungswiderstände sind aber enorm. Diese Erfahrung schildert auch Berners-Lee: „Leute in staatlichen Einrichtungen sind oft versucht, ihre Daten für sich zu behalten. Wir nennen das Datenbank-Umarmung („database hugging“). Sie umarmen Ihre Datenbank und möchten sie nicht gehen lassen, bevor Sie eine wunderschöne Website dafür erstellt haben. Auf einer schönen Website sind die Daten aber meist nicht für andere Anwendungen verwertbar. Erstellen Sie ruhig eine schöne Website, aber zunächst geben Sie uns die unverfälschten Daten!“ Hierzulande möchte man diese Aufforderung gerne der Apothekerkammer zurufen. Die haben zwar schön säuberlich alle Nachtapotheken auf ihrer Website, aber die Daten sind nicht maschinenlesbar, sprich, nicht verwertbar, wenn jemand beispielsweise eine iPhone Applikation über Nachtapotheken programmieren will. Letzteres ist möglicherweise auch nicht im Interesse der Apothekerkammer, da man ja Traffic auf der eigenen Website haben möchte: Ein klassischer Fall von wirtschaftlichem versus öffentlichem Interesse…

Natürlich würde die völlige Freigabe der Daten in Österreich Geld kosten. Sie könnte aber Innovationen und völlig neue Geschäftsfelder ermöglichen. „Daten“, so Berners-Lee, „sind unerschlossenes Potential. Die Zukunft des Internets heißt nicht mehr verknüpfte Dokumente, sie heißt verknüpfte Daten. Und diese Zukunft wird größer als wir uns heute vorstellen können.“

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