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[Erschienen im WIENER Nr.345 / Mai 2010]

Irgendjemand hat schon wieder eine Kuh verloren. Die gurkt jetzt herrenlos auf meiner Facebook-Seite herum und hofft, dass ich sie zurück zu ihrem Bauernhof bringe. Bislang habe ich der Versuchung immer widerstanden. Da konnte das Rindsviech noch so treuherzig dreinschauen. Es ist mir auch egal, ob ich dann eine Kürbis-Medaille oder gar ein Zitronenbäumchen als Belohnung ausfassen würde. Kühe, Schafe, Sojabohnen, sowie andere Einwohner des idyllischen Örtchens FarmVille haben bei mir Hausverbot. Ja, auch die neuerdings animierten Golden Retriever müssen ihr Lackerl anderswo hinterlassen. Nicht, weil ich sie als das sehe, was sie sind, Schwachsinn nämlich, sondern weil ich panische Angst hätte, von dem Schwachsinn nicht mehr loszukommen.

„Eine wirklich körperliche Suchtgefährdung entsteht nicht“, beruhigt mich Medienpsychologe Univ. Prof. Peter Vitouch. Er sieht das Ganze denkbar gelassen: „Alle paar Monate kommen Leute wie Sie – also irgendwelche Journalisten – und wollen wissen, ob wegen einem aktuellen Trend jetzt die Welt zugrunde geht. Das tut sie nie. Niemand bleibt bis ans Lebensende auf seiner Farm sitzen. Wenn es erst einmal genug Leute gespielt haben, überholt sich das wieder.“

Aber natürlich ist es verführerisch. Nicht umsonst werden derzeit drei Milliarden Stunden pro Woche (!) mit Online Spielen verbracht, nicht umsonst gibt es 82,7 Millionen aktive Landwirte auf FarmVille, nicht umsonst machen die Einwohner der virtuellen Agrar-Idylle bereits 1% der tatsächlichen Weltbevölkerung aus.

Der Reiz ist leicht erklärt: „Social Games“ – wie all diese Spiele so schön heißen – bieten die Möglichkeit, einen Kosmos aufzubauen, über den man Kontrolle hat. Stets behält man den Überblick, kann sich gestaltend einbringen und – innerhalb des geschlossenen Systems wohlgemerkt! – tatsächlich etwas bewirken. Waterloo und Robinson steuern im Hinterkopf den Soundtrack bei: „Das ist meine kleine Welt…“

Überschau- und Kontrollierbarkeit – das sind auch für Vitouch die Schlüsselbegriffe der FarmVille-Mania. Wer seine Farm bewirtschaftet, erntet neben Erbsenschoten auch die sichtbaren Konsequenzen des eigenen Handelns. „Das ist etwas, das in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist“, so der Psychologe. Beispiel gefällig? Ein Betrieb – die Deutsche Bank etwa – kann klare Gewinne und Umsatzsteigerungen erzielen, wird aber dennoch Filialen schließen und reihenweise Mitarbeiter „freisetzen“. Lineare Schlüsse à la „Umsatzsteigerung bedeutet Jobsicherheit, Umsatzeinbußen bedeuten Kurzarbeit“ sind längst Mangelware geworden. Wer bewohnt da nicht lieber so einen kleinen Kosmos, in dem die eigenen Aktivitäten logisch vorhersagbare Konsequenzen erzielen? Sprich: Wenn ich gieße, wächst mein Zitronenbaum. Wenn nicht: Selber schuld.

Darüber hinaus wird jegliches Säen und Ernten durch simple lernpsychologische Kniffe versüßt – durch direkte Belohnung und positives Feedback. Vitouch: „Auch das kommt in der Wirtschaft mittlerweile nicht mehr vor, da dort hauptsächlich mit Bestrafungen operiert wird.“ Fazit: Ökonomen sprechen bereits von einem „Massen Exodus“, denn Mitarbeiter flüchten scharenweise vom materiellen hin zum virtuellen Arbeitsplatz.

Arbeitsscheu sind dabei keineswegs, vielmehr hochmotiviert! So eine Farm ist kein Zuckerschlecken. Sie verlangt Hingabe und (teilweise sogar finanziellen) Einsatz, aber die Früchte dieses Einsatzes sind, wenn nicht greif-, so doch klar sichtbar. Und allemal sinnstiftender als dubiose Exceltabellen auf denen sich nicht minder dubiose Abstraktionen des wirtschaftlichen Alltags manifestieren.

Geben wir’s also einfach zu: FarmVille ist die bessere Welt, die täglich frustrierende Tretmühle bloß ein matter Abklatsch.

Warum also verteufeln, was doch so viel vorteilhafter ist als das Leben? Eher gilt es, das Leben so gestalten werden, dass es mithalten kann. Das zumindest ist die Philosophie von Jane McGonigal. Sie forscht am Zukunftsinstitut des Silicon Valleys und ist als Game-Entwicklerin seit Jahren damit beschäftigt, Spielern zunehmend immersivere Welten anzubieten, „bessere“ Alternativen zur Wirklichkeit. Nun schlägt sie vor, den Spieß umzudrehen: „Wir alle sind dafür verantwortlich, der Welt eine zunehmend bessere und immersivere Wirklichkeit zu verpassen!“

Was wie die durchgeknallte Vision einer Blondine auf Droge klingt, ist bei näherer Inspektion derart charmant, dass man es zumindest in Betracht ziehen muss. McGonigal geht davon aus, dass soziale Spiele auch einen sozialen Lernprozess auslösen. Etwa durch die online gelebte Erfahrung von unzähligen Helfern umgeben zu sein und durch diese weltweite Unterstützung bei den eigenen „Aufgaben“ zu erfahren. Gerade junge Spieler durchlaufen hier einen beeindruckenden Sozialisationsprozess: Spielend wandelt sich der Mensch zum kollaborativen Wesen, zur hilfsbereiten Spezies, ungeachtet von nationalen oder sozialen Grenzziehungen.

„Gamer entwickeln eine Virtuosität im Knüpfen engmaschiger sozialer Netze“, weiß McGonigal. Darüber hinaus wissen sie um die Bedeutung von allgemeingültigen Regeln. Sie zeichnen sich durch unerschütterlichen Optimismus aus, da sie gelernt haben: Selbst, wenn das Spiel verloren scheint, ein Überraschungserfolg ist prinzipiell immer möglich. Last but not least: Sie legen eine wahnwitzige Produktivität an den Tag, vorausgesetzt die gestellte Aufgabe scheint lohnenswert: Baum pflanzen, Schafe hüten, verlorene Kuh einfangen…

Unterm Strich formen und formieren sich hier also Menschen, die all das in sich vereinen, wonach sich Nationalökonomen so verzweifelt sehnen. Und das durchaus nicht erst seit Anbeginn der Wirtschaftskrise. O, lasset sie alle in die Farmville-Lehre gehen und dann auf den Rest der Welt los… Ich verspreche auch, die nächste Kuh, die mein Facebook-Profil kreuzt, eigenhändig zurück zu bringen.

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